Nachrichten - 26. März 2025
Deutsche Kleinwaffenexporte nicht aus dem Blick verlieren!

Über Jahre ging rund mehr als die Hälfte aller deutschen Kleinwaffenexporte an Drittstaaten. Seit 2018 ist dieser Trend gebrochen und der Anteil hat sich massiv reduziert. Das ist ein Erfolg (auch) unseres jahrzehntelangen Engagements! Doch es gibt weiterhin Lücken und bedenkliche Entwicklungen. Wir werfen einen genauen Blick auf die Zahlen.
Zunächst stellt sich die Frage, was eigentlich gemeint ist, wenn die Bundesregierung über Kleinwaffenexporte berichtet. Wenn von Kleinwaffen die Rede ist, denken viele Menschen intuitiv an Pistolen - doch die sind mit der deutschen Kleinwaffendefinition gar nicht zwangsläufig gemeint.
Es gibt unterschiedliche, mehr oder weniger umfassende Definitionen für Kleinwaffen. Grundsätzlich werden Kleine Waffen und Leichte Waffen darunter gefasst. Die EU-Definition, an der sich auch Deutschland orientiert, bezeichnet nur solche Waffen als Kleinwaffen, die explizit für militärische Zwecke bestimmt sind.
Verschiedene und widersprüchliche Definitionen
Anders als die UN zählt Deutschland daher beispielsweise Pistolen nicht zu den Kleinwaffen, sondern führt sie unter sogenannten Handfeuerwaffen auf. Ihr Export fällt auch nicht unter die strengeren Regeln des Kriegswaffenkontrollgesetzes.
Hinzu kommen die Leichten Waffen, die entgegen einer Kleinwaffe wie ein Sturmgewehr nicht von einer Person getragen werden kann, sondern von einem kleinen Team eingesetzt wird, wie beispielsweise ein Granatwerfer. In den Statistiken der Bundesregierung tauchen diese Waffen nicht unter dem Schlagwort Kleinwaffe auf, sondern werden gesondert aufgeführt.
Konstruierter Unterschied zwischen Kleinwaffen und Handfeuerwaffen
Von 2023 auf 2024 ist der Wert der deutschen Exportgenehmigungen drastisch gestiegen - sowohl für Kleinwaffen (von 93,6 auf 161,2 Millionen Euro) als auch für Handfeuerwaffen (von 190,2 auf 284,7 Millionen Euro, siehe dazu die Anmerkung unten*). In den offiziellen Statistiken werden Kleinwaffen - also solche für militärische Zwecke - als Teilmenge der Handfeuerwaffen geführt. Im Jahr 2023 machten sie 49,2 Prozent, im Jahr 2024 dann 56,6 Prozent der Genehmigungswerte aus. Somit fiel jeweils nur rund die Hälfte der exportierten Handfeuerwaffen unter die strengeren Exportvorgaben.
Dabei sind sogenannte zivile Handfeuerwaffen keinesfalls weniger gefährlich als militärische Kleinwaffen. Die Unterscheidung zwischen zivil und militärisch ist vielmehr künstlicher Natur. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass 2024 Handfeuerwaffen im zweistelligen Millionenwert in die Ukraine exportiert wurden - einem Land, das sich im Krieg befindet.
"Politische Grundsätze" mit Lücken
Zur Erinnerung: Seit 2019 enthalten die "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Rüstungsexport" den Passus, dass "der Export von Kleinwaffen in Drittländer ... grundsätzlich nicht mehr genehmigt werden" soll. Diese Formulierung in den - ohnehin rechtlich unverbindlichen - Grundsätzen lässt Ausnahmen zu. Handfeuerwaffen und Leichte Waffen sind dadurch beispielsweise nicht abgedeckt.
Von einem umfassenden Kleinwaffenexportverbot kann also nicht die Rede sein - wohl aber von einer Verschärfung! Das ist auch ein Erfolg von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Ohne Rüstung Leben, die über Jahrzehnte die Folgen deutscher Kleinwaffenexporte in die Öffentlichkeit gebracht haben.
Kleinwaffenhersteller exportieren über Tochterfirmen
Die Kleinwaffenindustrie hat auf diese Entwicklung reagiert. Verschiedene deutsche und europäische Hersteller unterhalten Tochter- oder Gemeinschaftsunternehmen beispielsweise in den USA, um von den dortigen laxeren Exportbestimmungen zu profitieren.
Dabei fällt auf, dass immer wieder der Export von Herstellungsausrüstung für Kleinwaffen und -teile in die USA genehmigt wird. Die Gewinne aus fragwürdigen Exporten der Tochterfirmen fließen jedoch zu den Konzernen in Deutschland.
Drittstaaten-Anteil steigt wieder - durch Exporte an die Ukraine
Nach einem drastischen Rückgang des Drittstaatenanteils bei den deutschen Kleinwaffenexporten in den Jahren 2018 bis 2022, stieg dieser in den vergangenen Jahren wieder an. 2023 belief sich dieser auf rund 10 Prozent, 2024 sogar auf rund 47 Prozent.
Ein Großteil dieser Genehmigungen an Drittstaaten ging an die Ukraine, im Jahr 2024 sogar 99 Prozent. Ungeachtet der politischen Bewertung von Rüstungsexporten an die Ukraine muss klar sein, dass diese das Risiko einer unkontrollierten Weiterverbreitung während oder nach einem Ende der Kämpfe bergen. Die zukünftige Bundesregierung muss sich jetzt darauf vorbereiten, wie sie mit diesem Risiko umgeht.
Enormes Transparenzdefizit
Unter den sogenannten "sonstigen Drittländern" (das sind alle Drittstaaten außer bestimmten "engen Partnerländern" wie der Ukraine, Südkorea oder Singapur) waren auch 2024 wieder solche, die im Hinblick auf die Menschenrechtslage höchst problematisch sind. Zum Beispiel Katar und Ägypten!
Wirft man den Blick auf die "sonstigen Drittländer" unter den Empfängern von Handfeuerwaffen, bleibt ein Betrag von 2,64 Millionen Euro (2023) bzw. 4,04 Millionen Euro (2024) bei dem unklar bleibt, wer die Empfänger sind. Auch ist nicht klar, ob es sich um einen zivilen oder staatlichen Endverwender handelt. Das ist ein enormes Transparenzdefizit!
Südkorea: Versuchter Staatsstreich beim "Wertepartner"
Ein Empfängerland fällt besonders auf: Südkorea. 2023 wurden Kleinwaffen im Wert von über zwei Millionen Euro dorthin exportiert, unter anderem 1.000 Maschinenpistolen. Südkorea ist eines der Länder, welches von der Ampel-Regierung als "enges Partnerland", bzw. "Werte- und Sicherheitspartner" deklariert wurde und daher bevorzugt beliefert werden kann.
Ende 2024 versuchten Soldaten in das Parlament in Seoul einzudringen, nachdem der mittlerweile suspendierte südkoreanische Staatschef Yoon Suk Yeol das Kriegsrecht ausgerufen hatte. Diese politische Krise in Südkorea zeigt, wie vage und risikoreich es ist, bestimmte Länder aus politischen Gründen als "unbedenklich" einzustufen. Begriffe wie "Werte- und Sicherheitspartner" sind inhaltlich unspezifisch und bieten keinen verbindlichen Rahmen für Entscheidungen mit einer Tragweite, wie sie Waffenexporte haben.
Zu jeder Waffe gehört Munition
Ein genauer Blick lohnt sich auf die Genehmigungswerte für Kleinwaffenmunition sowie Herstellungsausrüstung für Kleinwaffen, ihre Teile und Munition. Ohne die Genehmigungen für die Ukraine ist der Anteil der Drittstaaten sehr gering. Dennoch sind in den Jahren 2023 und 2024 abermals hoch problematische Länder unter den Empfängern zu finden. Darunter sind Bangladesch, Indien, Katar, Algerien, Brasilien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE).
Auch wenn der Wert der Genehmigungen an diese Länder verhältnismäßig gering ist, stecken jeweils tausende Kugeln Munition dahinter - jede von ihnen potenziell tödlich. So erhält beispielsweise Katar 500.000 Stück Gewehrmunition, Indien 7.400 Stück, Brasilien 3.500 Stück und die VAE 50.000 Stück.
Kontrolle über Herstellung von Munition aus der Hand gegeben
Auffallend ist zudem, dass im Jahr 2024 die wertmäßig höchste Genehmigung für Herstellungsausrüstung für Kleinwaffen, -teile und -munition an Nepal ging. Das Land wird in der Einstufung des Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) in sieben von acht Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts für Rüstungsexporte als kritisch oder teilweise kritisch bewertet. Dennoch erhält es Herstellungsausrüstung für Kleinwaffenmunition im Wert von über 412.000 Euro.
Auch Indonesien und die Philippinen erhalten Herstellungsausrüstung für Handfeuerwaffenmunition und Handfeuerwaffen/-teile. Im Jahr 2023 zudem Brasilien und Indien. Solche Exporte sollte es nicht geben! Denn mit dem Export von Herstellungsausrüstung gibt die Bundesregierung die Kontrolle über die Produktion und damit auch den Verbleib der Munition bzw. Waffen aus der Hand!
Für ein Rüstungsexportkontrollgesetz und ein Kleinwaffenexportverbot
Der genaue Blick auf die Zahlen zeigt also: Trotz bisheriger Erfolge darf die Kleinwaffenexportkontrolle nicht aus dem Blick verloren werden. Das gilt insbesondere in Hinblick auf eine erweiterte Kleinwaffendefinition nach UN-Definition, damit Handfeuerwaffen strenger reglementiert werden. Damit würde Deutschland seinen Verpflichtungen aus dem Waffenhandelsvertrag ATT nachkommen.
Zudem muss die Regierung der Internationalisierungsstrategie deutscher Kleinwaffenhersteller etwas entgegenhalten. Der beste Weg, diese und weitere Lücken auf dem Weg zu einem konsequenten Kleinwaffenexportverbot zu schließen, ist ein Rüstungsexportkontrollgesetz. Für ein solches haben wir uns während der Koalitionsverhandlungen stark gemacht.
* Anmerkung zu den Exportgenehmigungen für Handfeuerwaffen 2023: Hierfür liegen zwei Quellen vor, die beide durch die Bundesregierung veröffentlicht wurden - die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage und der Rüstungsexportbericht 2023. Obwohl sich beide auf den gleichen Zeitraum und die gleiche Kategorie beziehen, sind darin jeweils andere Genehmigungswerte genannt. Der Unterschied beträgt mehr als 100 Mio. Euro! Eine Erklärung der Bundesregierung für diese gravierende Diskrepanz steht bislang noch aus.
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