Nachrichten - 14. Juli 2025
"Mehr vom Gleichen, nur schlimmer" - Die Militarisierung Europas schreitet fort
In Berlin und Brüssel stehen die Zeichen auf Rüstung: Die schwarz-rote Koalition in Berlin wird Milliardenschulden fürs Militär aufnehmen. Die EU-Kommission ruft mit ihrem "ReArm Europe"-Plan nach Wiederaufrüstung und der Verteidigungskommissar Kubilius legt ein Weißbuch zur europäischen Verteidigung vor. Alles innerhalb weniger Wochen - ein Überblick über rasante Entwicklungen in Europa.
Am 4. März 2025 präsentierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den "ReArm Europe"-Plan. "Wir befinden uns in einer Ära der Aufrüstung. Und Europa ist bereit, seine Verteidigungsausgaben massiv zu erhöhen", sagte die Kommissionspräsidentin bei der Vorstellung des Plans.
Dieser ist mittlerweile in "Readiness 2030" umbenannt worden - Italien und Spanien hatten ihr Unbehagen mit dem Namen "ReArm Europe" ausgedrückt. Der Name sei übermäßig aufgeladen und drohe, die Bürger zu verprellen. Am Inhalt ändert der neue Name aber nichts.
ReArm Europe/ Readiness 2030
Kern des Plans ist es, 800 Milliarden Euro für die Aufrüstung der EU in den nächsten vier Jahren zu mobilisieren. Dieses Geld wird nicht ausschließlich von der EU zur Verfügung gestellt. Die Union stellt Anreize bereit, damit die Mitgliedsstaaten national ihre Rüstungsausgaben erhöhen.
So beschloss die EU einen Fonds in Höhe von 150 Milliarden Euro (SAFE), mit dem die Mitgliedsstaaten günstige Kredite für die gemeinsame Rüstungsbeschaffung für nationale Bestände (insbesondere Munition, Drohnen und Drohnenabwehrsysteme, Luftverteidigung, militärische Mobilität und elektronische Kampfführung) oder für die Ukraine erhalten können.
Rüstungsschulden von den Haushaltsregeln ausgenommen
Rüstungsproduktion und -beschaffung sollen zudem dadurch angekurbelt werden, dass Militärausgaben als "gute Schulden" betrachtet werden. Erhöhungen seit 2021 sollen für die nächsten vier Jahre aus der Berechnung der Staatsverschuldung gemäß den EU-Haushaltsregeln ausgenommen werden. Dies könnte nach Schätzungen der Kommission bei einer durchschnittlichen Erhöhung der nationalen Militärausgaben um 1,5 % einen "fiskalischen Spielraum" von bis zu 650 Milliarden Euro schaffen.
Bei den Rüstungsausgaben werden Sparargumente somit zur Seite geschoben, während sie in anderen Bereichen wie Klima, Gesundheit, Bildung oder soziale Absicherung gültig bleiben. Eine gefährliche Einseitigkeit!
Keine neue Entwicklung
Dabei ist die Militarisierung der EU nicht neu: Bereits seit 2017 fließen EU-Mittel in die Finanzierung militärischer Forschung und Entwicklung (PADR, Preparatory Action for Defence Research, 90 Mio. Euro, 2017-2019 und EDIDP, European Defence Industrial Development Programme, 500 Mio. Euro, 2019-2020). Für die Jahre 2021-2027 stehen acht Milliarden Euro im Europäischen Verteidigungsfonds (EVF) zur Verfügung.
Seit 2023 fördert die EU auch die Phase der Produktion und Beschaffung: ASAP (Act in Support of Ammunition Production) stellt 500 Millionen Euro zur Verfügung, um die Produktionskapazitäten für Munition zu erhöhen. Die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern wird durch EDIRPA (European Defence Industry Reinforcement through common Procurement Act) mit 310 Millionen Euro gefördert.
Die Ziele von ASAP und EDIRPA sollen durch das European Defence Industry Programm (EDIP) verstetigt werden, das im März 2024 von der Kommission vorgeschlagen wurde, mit 1,5 Milliarden Euro ausgestattet sein soll und sich in den letzten Phasen der Verhandlungen befindet.
Weißbuch zur europäischen Verteidigung
Das Weißbuch zur europäischen Verteidigung, das im März 2025 veröffentlicht wurde, beinhaltet die oben genannten ReArm Europe-Maßnahmen, fügt einige weitere Vorschläge hinzu und versucht, alles mit bestehenden Maßnahmen in Einklang zu bringen. Laut dem European Network Against the Arms Trade (ENAAT) kommen die meisten der aktuellen Pläne nicht überraschend, da sie bereits erwähnt worden oder in Vorbereitung waren. Sie ließen sich daher zusammenfassen als "mehr vom Gleichen, nur schlimmer", wobei die "Neuheit" eher in ihrem Umfang als in ihrer Art liege.
So treibt das Weißbuch beispielsweise eine Deregulierung zugunsten der Rüstungsindustrie weiter voran. Dabei geht es nicht nur um rüstungsspezifische Regelungen in puncto Beschaffung und innereuropäischen Transfer von Rüstungsgütern, sondern auch um allgemeine Regeln, die der europäischen Rüstungsindustrie im Wege stehen könnten.
Dies soll beispielsweise Wettbewerbs- oder Umweltvorschriften treffen, sowie Kriterien für nachhaltige Investments. Die Rüstungsindustrie versucht sich bereits seit langem als "nachhaltig" zu präsentieren, um sich den Zugang zum nachhaltigen Finanzmarkt zu sichern. Damit hat sie zunehmend Erfolg. Im Mai 2025 investierte beispielsweise der Europäischer Investitionsfonds erstmals im Rüstungsbereich.
Deregulierung und Zugriff auf Fonds
Der sogenannte Defence Omnibus Simplification Vorschlag wurde im Juni 2025 präsentiert. Laut Kommission sollen in ihn auch Ergebnisse eines strategischen Dialogs mit der Rüstungsindustrie eingeflossen sein - als wären die Verbindungen zwischen Kommission und Rüstungsindustrie nicht ohnehin schon eng genug. Eine weitere Entwicklung ist der Zugriff auf bestehende EU-Mittel für Rüstungsaktivitäten.
Da sich beispielsweise die Gelder für ASAP dem Ende neigen, schlägt die Kommission vor, Mitgliedsstaaten zu erlauben, Gelder des Europäischen Kohäsionsfonds zu ASAP zu verschieben. Dies ist nur einer von mehreren Vorschlägen der Kommission, wie unterschiedliche EU-Mittel zu Gunsten von Rüstungsaktivitäten angezapft werden sollen. Eingebracht wurden diese im April 2025 mit einer Verordnung zur Förderung verteidigungsbezogener Investitionen innerhalb des EU-Haushalts.
Wettbewerbsfähigkeit im Fokus
Die seit 2016 vorgeschlagenen Maßnahmen zielen nach Einschätzung vom ENAAT im Wesentlichen darauf ab, die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie, sprich: ihre Exportfähigkeit zu stärken. Das Weißbuch mache das Bild noch deutlicher: Der Rüstungssektor werde als Allheilmittel zur Sicherung der globalen Wettbewerbsfähigkeit und des Wirtschaftswachstums von Europa dargestellt.
Nach der Finanzierung militärischer Forschung und Entwicklung (EVF), der Unterstützung der Produktion (ASAP & EDIP) und der gemeinsamen Beschaffung (EDIRPA & EDIP) schlägt die EU nun nationale oder europäische Lagerbestände vor und drängt auf einen EU Military Sales Mechanism, ähnlich dem US-amerikanischen Foreign Military Sales, der Waffenverkäufe von Regierung zu Regierung erleichtern würde. Ein solcher ist im EDIP vorgesehen.
European Defence Industry Programm (EDIP)
Mit einem Budget von 1,5 Milliarden Euro (2025-2027) soll EDIP mehr gemeinsame Beschaffungen, eine starke gemeinsame industrielle Basis, die Steigerung von Produktionskapazitäten und die Absicherung von Lieferketten fördern. Obwohl EDIP Maßnahmen enthält, die Rüstungsexporte fördern können (wie beispielsweise der EU Military Sales Mechanism), fehlt jeder Bezug auf das Thema Rüstungsexportkontrolle.
Das Programm sieht zudem strukturelle Unterstützung für die ukrainische Rüstungsindustrie vor. Dies ist ganz im Sinne des Weißbuchs, welches Joint Ventures mit ukrainischen Rüstungsunternehmen begrüßt, um "von der Kriegserfahrung der Ukraine zu profitieren" und "kosteneffiziente Verteidigungsprodukte für den Weltmarkt bereitzustellen". Dabei ist es wichtig, im Kopf zu behalten, dass ukrainische Waffenexporte nicht an den Gemeinsamen Standpunkt der EU für Rüstungsexporte gebunden wären.
Und was ist mit der Rüstungsexportkontrolle?
Die Beispiele zeigen, dass die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich durch unterschiedliche Programme gefördert wird. Das hat auch Auswirkungen auf den Export der Waffen und Rüstungsgüter, die gemeinsam entwickelt und produziert werden. Doch auf Seiten einer gemeinsamen restriktiven Exportkontrolle gibt es auf EU-Ebene keinen Fortschritt. Weiterhin werden die gemeinsamen Regeln von den Mitgliedsstaaten sehr lax oder unterschiedlich ausgelegt.
Dass sich die kürzlich abgeschlossene dritte Überprüfungsrunde des Gemeinsamen Standpunktes für Rüstungsexporte den thematischen Schwerpunkt der Exportkontrolle gemeinsam produzierter Güter gesetzt hat, ist mehr als notwendig. Das Ergebnis ist jedoch enttäuschend. Es zeigt, dass sich die Mitgliedsstaaten nicht auf ein konkretes restriktives Vorgehen einigen können.
Export gemeinsam produzierter Rüstungsgüter wird erleichtert
Stattdessen stellen sie eine Liste von Optionen vor, aus denen sich Mitgliedsstaaten bedienen können, um den Export gemeinsam produzierter Güter zu "erleichtern" - darunter der Vorschlag, bei Zulieferungen die Entscheidung zum endgültigen Export vollends dem EU-Land zu überlassen, in dem die Endmontage stattfindet. Solche Vorschläge ebnen den Weg für eine noch weniger kohärente Umsetzung des Gemeinsamen Standpunkts und fördern weiter den Ansatz des kleinsten gemeinsamen Nenners.
Für die Regierung dagegen mag die Option, ihre Verantwortung über die Entscheidung beispielsweise gemeinsam produzierter Eurofighter nach Saudi-Arabien abzugeben, verlockend sein. Inwiefern Exporte in alle Welt Europa sicherer machen sollen, ist mehr als fraglich. Denn diese schaffen Unsicherheiten für uns und Dritte, die uns einholen werden. Wir sind weiterhin überzeugt, dass die Europäische Union die Welt nur als Friedensprojekt und nicht als Militärmacht für Alle sicherer machen wird.
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