Termin - 14. August 2018 - UPDATE: 9. Oktober 2018
"Ayotzinapa vive, la lucha sigue!" - Podiumsgespräch über die Folgen deutscher Waffenexporte nach Mexiko

Im Jahr 2014 wurde eine Studentengruppe in Iguala im mexikanischen Bundesstaat Guerrero angegriffen. Sechs Menschen starben, 43 Studenten fielen der Praxis des "Verschwindenlassens" zum Opfer. Anlässlich des vierten Jahrestages dieses Verbrechens kamen zwei Gäste aus Mexiko nach Stuttgart und nahmen sich die Zeit, auf unserem Podium über den "Fall Ayotzinapa" zu sprechen.
Leonel Gutíerrez Solano hat den weiten Weg aus Mexiko auf sich genommen, um an diesem Mittwoch zum Landgericht Stuttgart zu kommen. Er hat zwei Fotos dabei, die seinen Bruder Aldo Gutiérrez zeigen. Einmal bevor er aus seinem Leben gerissen wurde und einmal heute. Seit genau vier Jahren liegt der junge Mann im Koma - getroffen von einer Kugel, die mutmaßlich aus einem G 36-Sturmgewehr abgefeuert wurde. Ganz sicher wird das wohl nie geklärt werden, denn die Beweisaufnahme der Polizei war fehlerhaft.
Gericht beschäftigt sich nicht mit den Folgen
Aldo Gutiérrez wurde in Iguala im Bundesstaat Guerrero von einem Polizisten in den Kopf geschossen. In diesen von Korruption und Drogenkrieg gezeichneten Bundesstaat durfte der Hersteller "Heckler & Koch" aus Oberndorf am Neckar keine G 36-Gewehre liefern. Wie sie dennoch verbotenerweise dorthin gelangen konnten und welche Rolle mehrere ehemalige Mitarbeiter der Firma dabei spielten, darum geht es im laufenden Gerichtsprozess vor dem Landgericht.
Womit sich das Gericht nicht beschäftigt, sind die Folgen der mutmaßlich illegalen Waffenlieferungen nach Mexiko. Leonel Gutíerrez Solano ist daher nicht als Zeuge, sondern nur als Besucher nach Stuttgart gereist. Mit Worten und mit den Bildern seines Bruders will er die Lücke füllen. Es sei gut, dass die Angeklagten und das Gericht diese Fotos und seine Anwesenheit ertragen mussten, werden er und seine Begleiterin Sofía de Robina Castro vom Menschenrechtszentrum "Miguel Agustín Pro Juárez A.C." später sagen.
Ein Raum für die mexikanische Perspektive
Am Abend sprechen sie gemeinsam mit Jürgen Grässlin, dessen Strafanzeige den Gerichtsprozess erst möglich machte, Christian Schliemann von der Menschenrechtsorganisation ECCHR, Carola Hausotter von der "Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko" und Charlotte Kehne von Ohne Rüstung Leben über die Waffenexporte und ihre Folgen. Der mexikanischen Perspektive in Deutschland einen Raum zu verschaffen, das war das Ziel des Podiumsgesprächs.
Fast einhundert Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgen, wie Leonel Gutíerrez Solano sichtlich emotional darüber spricht, welche existenzielle Last es für seine Familie bedeute, seit vier Jahren seinen Bruder zu pflegen. Plötzlich werden die vermeintlich abstrakten Fragen des Rüstungsexports unerträglich konkret: "Aldo war ein junger Mann, dem eine große Zukunft offen stand!" sagt er, und: "Wir werden Aldo nie allein lassen!". Es ist ihm wichtig, zu zeigen, was er und seine Familie fühlen.
Politische Aufklärung gefordert
Sofía de Robina Castro nennt es einen Erfolg, die Verantwortlichen in Deutschland auf der Anklagebank zu sehen. Sie hat Vertragsdokumente eingesehen, in denen unter anderem Guerrero eindeutig als Empfängerstaat von "Heckler & Koch"-Waffen angegeben wird. "Wenn wir uns die Verträge anschauen, wird deutlich, dass es keine Kontrolle und keine Einschränkungen gab" sagt sie und fordert politische Aufklärung. Dazu seien schon erste Gespräche mit der neuen mexikanischen Regierung geführt worden.
Wichtig sei jedoch auch, dass die deutsche Bundesregierung Druck auf Mexiko ausübt. Und dass das Gericht in Stuttgart seinen Beitrag dazu leistet, Licht ins Dunkel der Verstrickungen um die schwäbischen Gewehre im mexikanischen Drogenkrieg zu bringen. Das wäre ein kleiner Beitrag im Kampf um Gerechtigkeit für die Studenten aus Ayotzinapa.
Die Reise mit einigen Statements von Leonel Gutíerrez Solano und Sofía de Robina Castro können Sie in einem kurzen Video miterleben, das José C. López für die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko erstellt hat:
[Das Video öffnet sich in einem neuen Fenster]
Hier finden Sie eine Aufzeichnung des (spanischen) facebook-Livestreams vom Podiumsgespräch: https://www.facebook.com/DMRKMexiko/videos/1995377934099258/
Eine gemeinsame Veranstaltung im Rahmen der "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!": Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko, Deutsche Friedengesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, European Center for Constitutional and Human Rights, Evangelische Akademie Bad Boll, Global Net - Stop the Arms Trade, Ohne Rüstung Leben, RüstungsInformationsBüro, ZEB - Zentrum für Entwicklungsbezogene Bildung
Dieser Termin ist unser Beitrag zu den 50 Veranstaltungen zum fünfzigsten Jubiläum der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF). Mehr dazu finden Sie auf der Website der AGDF.
Mehr Informationen
Pressemeldungen:
taz.de: Der Bruder, der verstehen will
Deutsche Welle: Familiares de Ayotzinapa buscan justicia en Alemania (Spanisch)
Podcasts zum Thema:
NPLA: Die Opfer sollen draußen bleiben
NPLA: Interview mit Rechtsanwalt Holger Rothbauer
Gemeinsame Presseerklärung der beteiligten Organisationen
(25. September 2018):
Gericht kann zur Gerechtigkeit für die 43 verschwundenen Studenten in Mexiko beitragen
Material zum Thema
Veranstaltungsflyer [PDF-Download]
Lesen Sie mehr zu deutschen Rüstungsexporten nach Mexiko:
"Auf einen Blick" Nr. 4: Mexiko [PDF-Download, 2 Seiten]
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