Nachrichten - 3. Januar 2022
Zum Tod von Inge Jens: Eine große Autorin und überzeugte Pazifistin
Inge Jens war eine "große Autorin, die mit ihren Büchern und Vorträgen das intellektuelle Leben der Bundesrepublik in vielfältiger Weise mit geprägt hat" (Rowohlt Verlag). Doch sie war auch eine überzeugte Pazifistin, hat im Großen und im Kleinen für Frieden gewirkt und war Ohne Rüstung Leben stets verbunden. Am 23. Dezember 2021 ist sie im Alter von 94 Jahren verstorben.
Ein Nachruf von Paul Russmann, Beirat von Ohne Rüstung Leben
"Sind Sie Feministin?" Auf diese Frage der ZEIT antwortete Inge Jens: "Keine überzeugte. Mann und Frau sind gleichberechtigt - danach habe ich immer gehandelt. Einfach tun, nicht groß drüber reden. Trotzdem erkenne ich Alice Schwarzer und ihren Kombattantinnen hoch an, was sie erreicht haben."
Die gebürtige Hamburgerin Inge Puttfarcken stand lange zu Unrecht - wie viele Frauen gestern und heute - im Schatten ihres Mannes: Die Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin studierte in Tübingen und lernte dort den Rhetorikprofessor Walter Jens kennen und lieben.
Selbstbewusst und bescheiden
Inge Jens arbeitete für Rundfunk und Verlage. Sie editierte unter anderem die Tagebücher des Nobelpreisträgers Thomas Mann. Das Buch "Frau Thomas Mann" (2003), das sie mit ihrem Mann Walter verfasste, wurde zum Bestseller. Die "große Intellektuelle" (Welt) liebte es, ihre Forschungsergebnisse öffentlich zu präsentieren.
Die zahlreichen Lesungen, die Inge Jens gemeinsam mit ihrem Mann veranstaltete, fanden stets in vollen Sälen vor begeistertem Publikum statt. Persönlich bescheiden, lehnte die selbstbewusste Frau 1996 eine Art Ehrenprofessur des Landes-Baden-Württemberg ab. Ihre Begründung: Sie sei eine "ordensskeptische Hanseatin" und könne auf solche Lorbeeren getrost verzichten.
Krieg als Inbegriff aller sinnlosen Leiden
Ihre Beschäftigung mit dem Widerstand der "Weißen Rose" gab ihr den Mut, in den 1980er-Jahren mit Sitzblockaden gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Mutlangen zu protestieren. Vor Gericht verteidigte sich Inge Jens mit dem Hinweis auf ihre eigenen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg: Wer dieses Inferno als junger Mensch erlebt habe, müsse sich zum Pazifismus bekennen.
Krieg als Inbegriff aller Ängste, Schrecken und sinnlosen Leiden sei zur "entscheidenden Erfahrung meines Lebens" geworden. Sie habe ein für alle Mal begriffen, "wohin es führt, wenn Menschen sich anmaßen, Mitmenschen zu Feinden zu erklären". Unter Pazifismus verstand Inge Jens auch "die Fähigkeit, sich in andere hineinzudenken und den Versuch, sie in ihrem Anderssein zu verstehen, anstatt ihnen Gewalt anzutun."
"Mein Gott, das könnten ja deine Kinder sein"
Einer ihrer beiden Söhne verweigerte den Wehrdienst mit folgenden Worten: "Ich kann den Gedanken nicht ertragen, eines Tages der Mutter eines Soldaten zu begegnen, den ich getötet habe. Was soll ich ihr sagen, wenn sie mich fragt: 'Warum?'". Diese Worte gingen Inge Jens durch den Kopf, als man die Eheleute Jens Anfang der 1990er-Jahre bat, zwei desertierte US-Soldaten aufzunehmen. Sie waren auf der Flucht vor ihrem Einsatz im ersten Irak-Krieg.
"Ich will nicht verschweigen, dass ich etwas Angst gehabt hatte vor diesem Moment: zwei fremde Menschen, Berufssoldaten aus dem US-Unterschichtsmilieu ... Und dann standen sie wirklich vor meiner Haustür, ein farbiger Junge und ein weißes Mädchen. Ich hatte offenbar vergessen, wie jung Soldaten sind; jedenfalls waren alle Zweifel und Ängste wie weggeblasen und ich hatte nur noch ein einziges Gefühl: 'Mein Gott, das könnten ja deine Kinder sein'."
Ikone der Friedensbewegung
Wegen Beihilfe zur Fahnenflucht wurde zunächst nur ihr Mann angeklagt. Die verärgerte Inge Jens ging zur Polizei: Auch sie gehöre vor Gericht, denn "die Suppe und die Betten für die Deserteure habe schließlich ich gemacht."
Jetzt ist die Stimme der "Ikone der Friedensbewegung" (ntv) für immer verstummt. Doch über ihren Tod hinaus bleibt Inge Jens auch Ohne Rüstung Leben verbunden. Wir sind dankbar, dass aus Anlass ihrer Beerdigung statt um Blumen auch um Spenden zugunsten unserer Friedensarbeit gebeten wird.
Mehr Informationen
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