Ohne Rüstung Leben e.V.
Frieden politisch entwickeln

Corona-Friedenstagebuch - 19. Juni 2020

Corona-Friedenstagebuch (11): Das Präventions-Paradox

Corona-Friedenstagebuch von Ohne Rüstung Leben

 

Das Thema "Frieden" findet zwar aktuell kaum Aufmerksamkeit, doch die Corona-Pandemie und unser Umgang damit hat ganz konkrete Auswirkungen auf friedenspolitische Themen.

Jeden zweiten Freitag betrachten wir einen anderen Aspekt der Corona-Krise aus friedenspolitischer Perspektive und laden Sie ein, unsere Gedanken und Impulse mitzudenken und zu teilen.


 

Corona-Friedenstagebuch (11): Das Präventions-Paradox

 

Die erste Welle der Corona-Pandemie in Deutschland ist offensichtlich abgeebbt und die Bundesrepublik war im Vergleich zu anderen Ländern gering betroffen. Zwar ist die Anzahl aller Infektionen recht hoch, lag aber stets hinter Frankreich und Italien. Die Sterberate hingegen blieb in Deutschland auffällig niedrig.

Alles halb so wild also?

Tatsächlich werden immer mehr Stimmen laut, die mit Verweis auf den bislang glimpflichen Verlauf der Pandemie behaupten, die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus seien übertrieben, die Gefahr aufgebauscht worden.

Hinter dieser pauschalen Infragestellung auch jener Maßnahmen, die nachweislich wirken, verbirgt sich in vielen Fällen ein verhängnisvoller psychologischer Mechanismus: Das sogenannte Präventionsparadox.


Prävention wird oft gerade dann in Frage gestellt, wenn sie wirkt

Es beschreibt die Tatsache, dass Präventionsmaßnahmen oft gerade dann in Frage gestellt werden, wenn sie Wirkung zeigen.

Wenn beispielsweise die Ausbreitung einer Infektionskrankheit verhindert werden konnte, wirkt diese für viele Menschen schnell nicht mehr präsent und bedrohlich. Es besteht die Gefahr, dass die erfolgreichen Präventionsmaßnahmen – die oft mit Einschränkungen, Aufwand oder kleineren Risiken einhergehen – nun übertrieben oder gar verzichtbar erscheinen. Mit unabsehbaren Folgen.

In der Corona-Krise wird dieser Mechanismus nun besonders deutlich, das Präventionsparadox ist jedoch bei weitem nicht auf Infektionserkrankungen beschränkt.

Auch im ganz normalen Alltag tritt der Mechanismus auf: Wer im Straßenverkehr lange keine gefährliche Situation erlebt hat, ertappt sich schnell einmal dabei, die Verkehrsregeln nicht ganz so eng zu nehmen – dabei waren es im Zweifel genau diese Regeln, die bislang gefährliche Situationen verhinderten.


Auch in der Konfliktprävention spielt das Paradox eine Rolle

Und auch in einem weiteren Bereich spielt das Präventionsparadox leider eine zentrale Rolle: Bei der Krisen- und Konfliktprävention, die mit vielfältigen, strukturellen Maßnahmen versucht, gewaltsamen Konflikten vorzubeugen bevor sie entstehen.

Objektive Untersuchungen zeigen, dass solche Maßnahmen zur Krisen- und Konfliktvorbeugung deutlich günstiger und sinnvoller sind, als in bereits eskalierte Konflikte einzugreifen. Eine 2017 veröffentlichte Analyse des "Institute for Economics and Peace" kommt zu dem Ergebnis, dass jeder Dollar, der in Friedensförderung investiert wird, ganze 16 Dollar für direkte und indirekte Konfliktkosten spart!

Dennoch ist noch immer kein konsequenter Aufbau von Strukturen und Personal zur Konfliktprävention zu beobachten.


Was durch erfolgreiche Prävention verhindert wurde, lässt sich nicht vorzeigen

Denn erfolgreiche Prävention entschärft Krisen und Konflikte, lange bevor diese wirklich sichtbar werden. Außerdem laufen viele Aktivitäten zur Vermeidung von gewaltsamen Konflikten leise oder im Verborgenen ab. Die Politik müsste demnach Mittel für Maßnahmen bereitstellen, die - wenn sie wirken - von der Öffentlichkeit völlig unbemerkt bleiben.

Weil auch hier das Präventionsparadox greift, sind solche Investitionen in der politischen Debatte und im Wahlkampf leider schwer zu vermitteln.

Daher finanziert die Politik allzu oft lieber das "sichtbare" Militär, das dann zum Einsatz kommt, wenn es bereits zu spät ist - Konflikte also unübersehbar eskalieren. Dabei zeigen die Kriege unserer Zeit von Afghanistan bis Syrien, dass das nicht der richtige Weg sein kann.


Niemand ist davor gefeit

Wie bei allen psychologischen Effekten gilt auch für das Präventionsparadox: Niemand von uns ist davor gefeit. Wir tun aber gut daran, uns die Ursachen und Zusammenhänge in Erinnerung zu rufen, wenn uns vorbeugende Maßnahmen überflüssig vorkommen – bei Konflikten ebenso wie im Umgang mit dem Virus.

Wir finden: Die Corona-Pandemie führt uns vor Augen, wie wichtig Prävention ist – auch wenn es schwer ist, zu erfassen, was sonst geschehen wäre.

 

Alle Folgen unseres Corona-Friedenstagebuches finden Sie hier

 

‹ alle aktuellen Nachrichten

‹ zurück

Kontakt

Ohne Rüstung Leben
Arndtstraße 31
70197 Stuttgart

Telefon 0711 608396
Telefax 0711 608357

E-Mail orl[at]gaia.de

Spendenkonto
IBAN  DE96 5206 0410 0000 4165 41
BIC  GENODEF1EK1

Evangelische Bank

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit unseren Postsendungen bleiben Sie immer aktuell informiert.
Übrigens: Alle Informationen und Materialien von Ohne Rüstung Leben sind grundsätzlich kostenlos.
Ihre Spende hilft uns, dieses Angebot am Leben zu erhalten.