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Corona-Friedenstagebuch - 24. April 2020

Corona-Friedenstagebuch (4): "Wir sind im Krieg!" - Ein Blick auf die Rhetorik der Krise

Corona-Friedenstagebuch von Ohne Rüstung Leben

 

Das Thema "Frieden" findet zwar aktuell kaum Aufmerksamkeit, doch die Corona-Pandemie und unser Umgang damit hat ganz konkrete Auswirkungen auf friedenspolitische Themen.

Jeden Freitag betrachten wir einen anderen Aspekt der Corona-Krise aus friedenspolitischer Perspektive und laden Sie ein, unsere Gedanken und Impulse mitzudenken und zu teilen.


 

Corona-Friedenstagebuch (4): "Wir sind im Krieg!" - Ein Blick auf die Rhetorik der Krise

"Nous sommes en guerre!" Es ist dieser Satz, der hängenblieb, von der Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron im März: Wir sind im Krieg gegen das Virus! Ähnlich sehen es weitere Politikerinnen und Politiker, allen voran US-Präsident Donald Trump. Aber auch der deutsche Finanzminister Olaf Scholz sprach davon, die "Bazooka rauszuholen".

Allein: Eine Pandemie ist kein Krieg.

Nun könne man einwenden, dass diese rhetorische Spitzfindigkeit nebensächlich ist, angesichts der Bedrohung durch das Coronavirus. Ist nicht jede Formulierung angemessen, die den Ernst der Lage deutlich macht und die Menschen von sinnvollen Verhaltensweisen überzeugt?


Militärische Sprache bringt Erwartungen mit sich

Der Philosoph und Politikwissenschaftler Marcel Vondermaßen warnt vor einer solchen, allzu unkritischen Sicht: "Militärische Sprache bringt Erwartungen mit sich: Gehorsam, Homogenität, Hierarchie, unhinterfragtes Vertrauen in die Autoritäten."

Worte können unsere Wahrnehmung einer Situation verändern. Wenn sich die Politik also nun aus dem rhetorischen Werkzeugkasten des Militärs bedient, will sie vor allem die Bevölkerung auf ihre Linie einschwören. Wer den Krieg ausruft, will als Befehlshaber wahrgenommen werden, die Bevölkerung hinter sich vereinen und das eigene Vorgehen legitimieren.

"Es wird damit möglich, was im Regelfall eben nicht nur nicht legitim, sondern Grundwerten diametral entgegengesetzt wäre", warnt der Historiker Lars Straehler-Pohl.


Der unsichtbare Feind

Doch Kriegsrhetorik hat noch einen weiteren gefährlichen Effekt, der sich in der Psyche der Menschen zeigt: Wer sich im Krieg wähnt, hat einen Feind. Traditionell ist dieser Feind personifiziert und menschlich. Kampfgeist und Übermacht könnten ihn besiegen.

Das Virus nicht.

Es hat keine Persönlichkeit, es folgt einzig den natürlichen Gesetzen seiner Verbreitung. Wer glaubt, dass das Virus ein Kriegsgegner sei, sieht sich einem unsichtbaren, unbesiegbaren Feind gegenüber. Und weil gegen diesen Feind nicht anzukommen ist, suchen sich Verunsicherung, Angst und Wut allzu oft eine andere Projektionsfläche. Einen greifbaren Feind.

Das lässt sich etwa an zunehmenden Berichten über Anfeindungen asiatisch aussehender Menschen ablesen, die durch entsprechende Äußerungen rechtspopulistischer Medien - zum Beispiel in den USA - befeuert werden.


Kriegsmetaphern verstellen den Blick auf die wichtigen Werte

Die Corona-Krise als einen Krieg darzustellen, lenkt unsere Aufmerksamkeit in die falsche Richtung: "Ein Fokus auf Kriegsmetaphern verhindert, dass wir den gesellschaftlichen Blick auf jene Werte legen, die zur Bewältigung der Krise unverzichtbar sind: Eigenverantwortung, Fürsorge, Empathie", sagt Marcel Vondermaßen.

Wie viel jede und jeder von uns mit rationalem Verhalten, Solidarität und Zuversicht zur Eindämmung des Coronavirus beitragen kann, haben die letzten Wochen in Deutschland gezeigt. Und - das soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben - daran hat die sachliche und gleichzeitig empathische Rhetorik der Bundeskanzlerin sicherlich auch ihren Teil.


Es geht darum, Menschen zu schützen

Es geht in der Corona-Krise nicht um Kampf und Gewalt, Schuld oder Abgrenzung. Es geht darum, ob wir bereit sind, unangenehme Einschränkungen auf uns zu nehmen, um andere Menschen zu schützen - diejenigen für die das Coronavirus am gefährlichsten ist. Und es geht um Unterstützung und Solidarität für diejenigen, die besonders unter der aktuellen Situation leiden. Darauf muss jetzt unser Fokus liegen.

Mit Krieg hat das überhaupt nichts zu tun.

Wir finden: Die verbindende Solidarität in der Corona-Krise sollte uns ein Beispiel sein, wie sich Krisen ohne Gewalt und Krieg bewältigen lassen.

 

Alle Folgen unseres Corona-Friedenstagebuches finden Sie hier

 

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