Ohne Rüstung Leben e.V.
Frieden politisch entwickeln

Corona-Friedenstagebuch - 22. Mai 2020

Corona-Friedenstagebuch (8): Wie geht eigentlich Zuhören?

Corona-Friedenstagebuch von Ohne Rüstung Leben

 

Das Thema "Frieden" findet zwar aktuell kaum Aufmerksamkeit, doch die Corona-Pandemie und unser Umgang damit hat ganz konkrete Auswirkungen auf friedenspolitische Themen.

Jeden Freitag betrachten wir einen anderen Aspekt der Corona-Krise aus friedenspolitischer Perspektive und laden Sie ein, unsere Gedanken und Impulse mitzudenken und zu teilen.


 

Corona-Friedenstagebuch (8): Wie geht eigentlich Zuhören?


Hitzige Debatten bestimmen diese Zeit. Sie drehen sich um Verschwörungstheorien, die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen und die Frage, wie gefährlich das Corona-Virus wirklich ist. Genügend Stoff für eine wahre Zerreißprobe - nicht nur auf gesellschaftlicher und politischer Ebene, sondern vor allem auch in unserem engsten privaten Umfeld.

Gleichzeitig sehnen sich gerade jetzt viele Menschen nach Verbundenheit, Zusammenhalt, Wohlwollen und Geborgenheit. Wie kann das zusammen gehen? Papst Franziskus sieht eine Chance, dass die Stille dieser Zeit auch unsere Fähigkeit zum Zuhören wachsen lässt. Aber wissen wir eigentlich, wie Zuhören geht?


Die Kunst des Zuhörens

Eine konkrete Anleitung dazu findet sich in vielen deutschen Bücherregalen und Kinderzimmern. Die Ikone der Zuhörkunst ist ein kleines, heimatloses Mädchen namens Momo: "Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden."

In Michael Endes Roman gibt Momo weder guten Rat, noch findet sie immer die richtigen Worte, wenn jemand Trost braucht. Stattdessen sitzt sie nur da und hört einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und Anteilnahme.


Zuhören ist mehr als ausreden lassen

Diese Art des Zuhörens ist also etwas anderes, als unser Gegenüber geduldig ausreden zu lassen, während wir gedanklich schon unsere Gegenrede vorbereiten. Unsere Kommunikation im Alltag dreht sich ums Reden und Mitteilen. Wir erklären, überzeugen, informieren, erzählen nonstop - und oft aneinander vorbei. Auf diese Weise entfernen wir uns Schritt für Schritt immer weiter voneinander. 

Die aktuelle Situation kann diese Dynamik verstärken, denn sie bringt neue Frustrationen, Sorgen, Ängste und Ärgernisse mit sich. Nach einem langen Tag im Homeoffice zusammen mit der ganzen Familie, einer unangenehmen Begegnung beim Einkaufen oder einem Wortgefecht sind unsere Nerven angespannt.

Es entstehen Streit, Zerwürfnisse, Polarisierungen und Gräben. Kommunikation besteht dann oft nur noch aus einem verzweifelten Versuch, unser Gegenüber davon zu überzeugen, dass wir Recht habenund die anderen falsch liegen.


Gräben überbrücken

Hören wir einander aufmerksam und wertschätzend zu, können diese Gräben überbrückt werden - oder entstehen gar nicht erst. Doch dieses tiefe Zuhören müssen wir in den meisten Fällen erst erlernen und üben.

Wenn wir bereit sind, uns in die Lebenswelt unseres Gegenübers einzufühlen, wird uns bewusst, was uns als Menschen verbindet. Die Ängste und Sorgen, Hoffnungen und Wünsche, die unserem Handeln zugrunde liegen.

Der Kommunikationswissenschaftler Schulz von Thun beschreibt das so: "Ich will probieren, die Dinge mit deinen Augen zu sehen und mich in deine Welt hineinfinden, ganz egal, was ich davon halte, was ich darüber denke und fühle."


Die Sehnsucht, gehört zu werden

Als Methode findet sich Aktives - oder auch empathisches - Zuhören im Werkzeugkasten der Konstruktiven Konfliktbearbeitung. Es gehört zum Einmaleins in der Konfliktmediation und ist so unspektakulär wie wirkungsvoll. Sein Ziel ist es, zu verstehen, anstatt verstanden zu werden. 

Dabei bedeutet aktives Zuhören nicht, etwas stillschweigend gut zu heißen. Sich auf die Worte anderer Menschen einzulassen, auch wenn man sie vielleicht nicht teilt, kann jedoch eine Basis für Begegnung und Austausch schaffen.

Schon wohlwollendes Zuhören löst nicht selten festgefahrene Situationen und verbitterte Haltungen erweichen sich. Denn die Sehnsucht gehört und gesehen zu werden, schlummert in fast allen von uns.

Verbundenheit und Verständigung

Jede Krise birgt bekanntlich auch Chancen. Eine Chance dieser Krise ist, die Zeit zu nutzen, um den Umgang in unserer Gesellschaft miteinander neu zu gestalten. Ein Schritt zu mehr Verbundenheit und Verständigung könnte es sein, wenn wir alle uns mehr zuhören – in unseren Familien, im Freundeskreis, im Büro oder bei ganz alltäglichen Begegnungen. 

Wir finden: Aus der Corona-Krise zu lernen heißt auch, uns im Zuhören zu üben. 

 

Alle Folgen unseres Corona-Friedenstagebuches finden Sie hier

 

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