Nachrichten - 23. Mai 2017
Der entmenschlichte Krieg
Mit jeder neu entwickelten Waffentechnologie wächst die Distanz zwischen Schütze und Opfer. Schon heute können Soldatinnen und Soldaten die Raketen einer Kampfdrohne abfeuern, die sich am anderen Ende der Welt befindet. Ein Blick in die Entwicklungsabteilungen des Pentagon zeigt: Die Waffen der Zukunft töten vielleicht schon bald ganz autonom.
In seinem vielgelobten Buch "Der Mensch. Eine Karriere" schreibt Wolf Schneider über die Erfindung von Pfeil und Bogen: "Der Pfeil tötete ohne Warnung aus einer Distanz, die es dem Schützen ersparte, seinem Opfer ins Auge zu sehen und es zugleich dem Opfer unmöglich machte, durch einen Appell an das Mitleid oder durch eine Geste der Unterwerfung den Tod noch abzuwenden...". 17.000 Jahre sind seitdem vergangen.
Der Mensch hat in der Zeit einen grausamen Weg zurückgelegt, hin zu Scharfschützen und Atombomben. Mit jeder neu entwickelten Technologie wuchs nicht nur die Präzision und Zerstörungskraft moderner Waffen - auch die Distanz zwischen dem Schützen und dem Opfer wurde immer größer. Politik und Gesellschaft, aber auch immer mehr Soldatinnen und Soldaten sind dem Elend und Tod des Krieges heute nicht mehr unmittelbar ausgesetzt. Das hat Folgen.
Am Himmel kreisen die Drohnen
"Es war ein klarer Tag und am Himmel kreisten die Drohnen." Mit diesen Worten beschreibt Malik Jalal jenen Moment, als er seinem Neffen sein Auto lieh. Wenig später wurde der Wagen von einer Rakete zerfetzt. Wie durch ein Wunder überlebte der Neffe. Es war der erste von mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, Jalal zu töten. Stets kamen dabei viele Menschen ums Leben oder wurden verstümmelt. Unbeteiligte, Passanten, Verwandte und Freunde.
Jalal erzählte seine Geschichte im letzten Jahr der englischen Zeitung "The Independent". Er ist sich sicher, dass sein Name auf einer Todesliste steht, weil er in Pakistan als Friedensrichter arbeitet und dabei auch mit den Taliban verhandelt. Verdächtige - Menschen wie er - werden in seiner Heimat gezielt von amerikanischen Kampfdrohnen verfolgt und exekutiert. Dass die Angriffe, die als verdeckte Kampagne der CIA starteten, ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht sind, hilft den Menschen am Boden nicht.
Malik Jalal ist ein stolzer Mann, der sich aus Angst um seine Familie nicht mehr traut, in seinem eigenen Haus zu schlafen. Er hat versucht, seinen kleinen Sohn zu beruhigen. Ihm erzählt, dass Drohnen keine Kinder töten. Vergeblich. Im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet weiß jedes Kind: Auf eine getötete Zielperson kommen viele unbeteiligte Opfer, darunter auch zahlreiche Mädchen und Jungen. Kinder, die am falschen Ort waren oder im falschen Auto saßen.
Bequemlichkeit und Distanz
Die Verursacher sitzen am anderen Ende der Welt. In ihrem sehenswerten Dokumentarfilm "National Bird" zeigt Sonia Kennebeck einige davon: Es sind junge Frauen und Männer, oft aus prekären Verhältnissen, die für das amerikanische Drohnenprogramm arbeiten. Viele zerbrechen an ihrer Aufgabe, Menschen über eine Datenleitung zu töten. Weil sie nicht darüber sprechen dürfen, flüchten sie in den Alkohol oder sogar in den Selbstmord.
In Protokollen der Drohneneinsätze finden sich makabere Dialoge: Um Zweifel auszuräumen, werden Kinder, die auf den Bildschirmen nicht ganz eindeutig zu erkennen sind, kurzerhand zu jugendlichen Gefährdern erklärt. Wer sich rings um die Zielperson aufhält, gilt als "Kombattant". Ein erfolgreicher Abschuss sei gut für die Beurteilung der Drohnenpiloten, sagt eine der portraitierten Soldatinnen. Von der vielbeschworenen "Präzision" könne keine Rede sein.
Der Film zeigt die Einfachheit, Bequemlichkeit und Distanz, die es so verlockend macht, immer und immer mehr Drohneneinsätze zu genehmigen: Drohnen fliegen über Grenzen hinweg und können jederzeit zuschlagen. Dabei werden keine amerikanischen Bodentruppen gefährdet, Presse und Gesellschaft nicht aufgeschreckt. Die Techniker und Analysten des Drohnenprogramms bleiben mit ihren Fragen allein. Sie erfahren nicht, wer und wieviele Menschen bei ihren Einsätzen getötet wurden. Offiziell waren sie nie im Auslandseinsatz.
Der nächste Schritt
Unterdessen arbeiten die Entwicklungs- und Strategieabteilungen der amerikanischen Streitkräfte daran, den Faktor Mensch, seine Psyche und seine moralischen Fragen ganz zu ersetzen. In den Kriegen der Zukunft planen sie, Kampfroboter einzusetzen. Die sollen, in Form von Kampfschiffen oder -drohnen, als Schwärme agieren und nicht mehr von Menschen gesteuert werden. Sie treffen autonome Entscheidungen, kundschaften Ziele aus und töten.
Was nach Science Fiction klingt, könnte schon in einigen Jahren Wirklichkeit sein. William Roper, Direktor des Strategic Capabilities Office (SCO) im Pentagon, freut sich über diese Entwicklung. Sie werde dazu führen, dass "die maximale Zahl unserer Mitarbeiter sicher nach Hause zurückkehrt". Tatsächlich steckt hinter den autonomen Roboterschwärmen jedoch eine weitere Überlegung: Das Geld!
Billige Kampfroboter auf Selbstmordmission
So sollen die Kampfmaschinen vor allem sehr preisgünstig produziert werden und die meisten von ihnen nicht aus dem Einsatz zurückkehren. Das würde bedeuten, dass bald Einheiten aus autonomen, maschinellen Selbstmordkämpfern in Missionen aufbrechen. Nach dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten wäre auch der Erhalt von teurem Gerät als letzter Grund für Zurückhaltung obsolet. Die Kampfmaschinen der Zukunft könnten völlig skrupellos agieren.
Für Florian Rötzer, der vor einigen Wochen für das Onlinemagazin "Telepolis" über die Planungen des Pentagon berichtete, hat dieser Umstand gravierende Folgen: "Die Roboterisierung würde ... tatsächlich zu einer weiteren Inhumanisierung führen, wenn die Selbsterhaltung wegfällt, die faktisch auch moralische Zurückhaltung fundiert."
Damit hätte der Krieg seine letzten menschlichen Züge verloren.
Mehr Informationen
Presseberichte:
Malik Jalal: This is what it feels like to be hunted by drones [Englisch]
Mit einem Schwarm billiger Wegwerf- oder Suizid-Roboter in den Krieg ziehen
Dokumentarfilm "National Bird":
"Unter Druck" - Filmkritik auf tagesspiegel.de
Regisseurin Sonia Kennebeck im Interview mit Tilo Jung
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