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Nachrichten - 19. Oktober 2016

Sigmar Gabriel antwortet auf unsere Aktionspostkarte

Brief von Sigmar Gabriel

Unerwartete Post erreichte viele unserer Unterstützerinnen und Unterstützer im August 2016: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel antwortete auf unsere Aktionspostkarte "Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien. Ich sage NEIN!". Er könne unser Engagement "gut nachvollziehen", schreibt der Minister und legt anschließend auf zwei Seiten seine Position zu Waffenexporten dar.


Doch die Darlegungen des Ministers können nicht überzeugen.
Wir wägen die Argumente ab:


Argument 1: "Ich kann Ihnen versichern, dass es sich die Bundesregierung bei Entscheidungen über Rüstungsexporte nicht leicht macht. Der größere Teil der Rüstungsexporte geht in Bündnisstaaten. Nur ein kleinerer Teil wird in Drittstaaten exportiert. ... In dem schwierigen Spannungsfeld zwischen außen- und sicherheitspolitischen Erwägungen werden alle Aspekte berücksichtigt, gewichtet und abgewogen. Dazu gehört beispielsweise auch die Frage, wie Menschenrechte beachtet werden."

Hier spielt Sigmar Gabriel nicht mit offenen Karten. Laut Rüstungsexportbericht 2015 der Bundesregierung waren im vergangenen Jahr gerade einmal 41 Prozent der erteilten Ausfuhrgenehmigungen für Exporte in EU-Staaten, an Mitglieder der NATO oder in gleichgestellte Staaten.

Fast 60 Prozent der Genehmigungen wurden also für Ausfuhren in Drittstaaten erteilt. Darunter war auch die Lieferung von Kampfpanzern nach Katar - ein Land, das für Menschenrechtsverletzungen bekannt ist! Der Wert dieser genehmigten Ausfuhren in Drittländer betrug 2015 ganze 4,621 Milliarden Euro (Vorjahr: 2,404 Milliarden Euro). Dies entspricht nahezu einer Verdopplung.


Argument 2: "Beim Export von Kleinwaffen, die in Bürgerkriegen die meisten Menschenleben kosten, werden besonders strenge Maßstäbe angelegt."

Tatsächlich lässt sich seit einigen Jahren ein Rückgang der deutschen Exporte von Kleinwaffen beobachten. Wir freuen uns sehr, dass inzwischen selbst im Rüstungsexportbericht der Bundesregierung Kleinwaffen als besonders tödlich und ein Hindernis bei der "wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung" in den Empfängerländern bezeichnet werden. Hier tragen unsere jahrelangen Forderungen und Kampagnen Früchte.

Doch trotz der erfreulichen Entwicklung hat Deutschland im vergangenen Jahr nicht nur tausende Maschinenpistolen und -gewehre in Länder wie den Irak, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Zentralafrikanische Republik geliefert, sondern auch Munition für Pistolen nach Saudi-Arabien. Da der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung nur die Exporte von Munition für Gewehre und Maschinenpistolen auflistet, taucht die Munitionslieferung nach Saudi-Arabien in der offiziellen Statistik nicht auf.


Argument 3: "Mit den sogenannten Post-Shipment-Kontrollen für Kleinwaffen in Drittländern nimmt Deutschland auf europäischer und internationaler Ebene zusammen mit nur wenigen anderen Ländern eine Vorreiterrolle ein."

Die Post-Shipment-Kontrollen sind eine gute Idee. Dabei geht es darum, auch nach der Lieferung in den Empfängerländern überprüfen zu können, ob Rüstungsgüter tatsächlich dort verbleiben. Laut den "Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" gilt seit jeher: "Genehmigungen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden nur erteilt, wenn zuvor der Endverbleib dieser Güter im Endempfängerland sichergestellt ist." Mit den Kontrollen wurde nun also ein Instrument geschaffen, um diesem Grundsatz zu entsprechen.

In der jetzigen Form zweifeln Experten jedoch an ihrer Wirkung:

Zunächst einmal verfügt Gabriels Ressort gar nicht über die personellen Ressourcen, um alle deutschen Rüstungsexporte nachzuverfolgen. Es bliebe also im besten Fall bei stichprobenartigen Kontrollen eines Teils der Exporte. Dabei bekäme man einen kurzen, momentanen Eindruck. Ob Waffen einen Monat später, wie in Mexiko geschehen, in ganz anderen Regionen auftauchen, lässt sich nicht kontrollieren.

Zudem sollen nur Exporte in Drittstaaten kontrolliert werden. Dass beispielsweise Waffen des deutschen Herstellers "Sig Sauer", die an die USA geliefert wurden, in den Jahren 2009 bis 2011 auf dubiosen Wegen nach Kolumbien gelangten, wäre durch die Kontrollen nicht aufgedeckt worden. Sogenannte Lizenzfertigungen - etwa von deutschen Sturmgewehren in Saudi-Arabien - sind von den Kontrollen nicht betroffen. Das bedeutet: Ob unter Lizenz gefertigte Gewehre deutscher Marken im Bürgerkrieg im Jemen eingesetzt werden, bleibt der Bundesregierung weiterhin verborgen.

Diese Beispiele zeigen, dass die Post-Shipment-Kontrollen in ihrer jetzt umgesetzten Form ein zahnloser Tiger sind. In einem großen Teil der Fälle, in denen in der Vergangenheit deutsche Waffen in menschenrechtsverletzenden und kriegführenden Staaten auftauchten, würde auch heute deren Endverbleib nicht kontrolliert.


Argument 4: "Seit 2014 werden die Genehmigungsentscheidungen des Bundessicherheitsrates gegenüber dem Parlament offengelegt. Damit informieren wir schneller und umfassender über genehmigte Ausfuhren und verbessern so die Transparenz ... "

Hierzu muss ganz deutlich entgegnet werden: Mehr Transparenz ist begrüßenswert! Dennoch ist mit dem Bundessicherheitsrat - der geheim tagt - die parlamentarische Kontrolle deutscher Rüstungsexporte außer Kraft gesetzt. Dass das Parlament im Nachhinein schneller über die gefällten Beschlüsse informiert wird, macht den Prozess nicht demokratischer.


Argument 5: "Jeder Einzelfall muss sorgfältig geprüft und abgewogen werden"

Unsere Aktionspostkarte bezog sich auf Saudi-Arabien. Ein Land, für das systematische Menschenrechtsverletzungen (bis hin zu Steinigungen Minderjähriger) und eine Beteiligung am blutigen Bürgerkrieg im Jemen nicht von der Hand zu weisen sind. Immer wieder tauchen zudem Verdachtsmomente auf, aus Saudi-Arabien würden terroristische Gruppen unterstützt. Wir sind der Meinung: Bei dieser Ausgangslage ist keine Einzelfallabwägung nötig. Die Fakten müssen nicht für jeden geplanten Rüstungsexport nach Saudi-Arabien neu abgewogen werden. Es wäre Zeit, ein eindeutiges Zeichen zu setzen.

Leider schreibt Sigmar Gabriel generell wenig zu Saudi-Arabien. Seine Argumente sind allgemeiner Natur. Dabei könnte der Minister durchaus mit Stolz darauf verweisen, dass er seit geraumer Zeit die Lieferung von Teilen für die Lizenzfertigung von "Heckler & Koch"-Sturmgewehren in Saudi-Arabien blockiert, worauf dort mittlerweile recht ungehalten reagiert wird.

Gleichzeitig jedoch wurde im Sommer dieses Jahres das erste Patrouillenboot aus deutscher Fertigung an die saudische Marine geliefert. Würden wirklich alle Argumente abgewogen und die Menschenrechte besonders berücksichtigt, müsste Deutschland alle Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien stoppen.

 

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Der Brief von Minister Gabriel [PDF-Download]

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