Nachrichten - 22. Juli 2016
Was Sie über das Weißbuch der Bundeswehr wissen sollten
In der vergangenen Woche hat das Bundeskabinett das "Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr" verabschiedet: Ein umfangreiches Dokument, das die strategische Ausrichtung der deutschen Außen- und Verteidigungspolitik für die nächsten Jahre festlegen soll. Das Ergebnis löst in Fachkreisen kontroverse Diskussionen aus.
Das Weißbuch sei erstmals in einem "breiten, transparenten und offenen Prozess" entstanden, freute sich Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei der Veröffentlichung. Tatsächlich scheint es jedoch so, dass der größte Teil der Bevölkerung diesen Prozess gar nicht mitbekommen hat. Der "Arbeitskreis Darmstädter Signal", ein Zusammenschluss kritischer Soldaten der Bundeswehr, spricht von einem "PR-Coup". Es habe "leider keine breite Beteiligung der Zivilgesellschaft gegeben".
"Neben der wichtigen inhaltlichen Kritik ist der intransparente Entstehungsprozess ein grundlegender Mangel des Weißbuches", sagt Paul Russmann, Geschäftsführer von Ohne Rüstung Leben. "Lediglich ein kleiner Zirkel diskutiert über Themen, bei denen es um Krieg und Frieden geht. Die breite Öffentlichkeit und der Bundestag wurden von dieser Diskussion weitestgehend ausgeschlossen. Von daher ist die Umschlagfarbe Weiß, die ja Licht und Transparenz signalisiert, unangebracht. Ein dunkles Schwarz wäre angemessener."
Damit Sie sich zumindest jetzt einen Eindruck verschaffen können, haben wir die wichtigsten Thesen aus dem Weißbuch für Sie zusammengestellt:
- In bislang ungekannter Deutlichkeit werden Deutschlands Verantwortung und Führungsanspruch in Sicherheitsfragen - auch militärisch - hervorgehoben: "Deutschland ist bereit, sich früh, entschieden und substanziell als Impulsgeber in die internationale Debatte einzubringen, Verantwortung zu leben und Führung zu übernehmen."
- NATO und EU sollen (militärisch) gestärkt werden, die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU wird hervorgehoben. In UNO-Missionen soll Deutschland mehr Verantwortung übernehmen. Der NATO-Beschluss, 2% des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung zu verwenden, soll umgesetzt werden.
- Über die nukleare Teilhabe soll Deutschland an der Atomwaffenpolitik der NATO beteiligt bleiben. Gleichzeitig hält die Bundesregierung an dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt fest. Ein scheinbar unlösbarer Widerspruch - auch im Hinblick auf den Willen des Bundestages, alle Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen.
- Die Bundesregierung will die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stärker politisch und finanziell fördern. Die OSZE stehe für "Dialog, Vertrauensbildung und Konfliktverhütung in Europa" und sei wichtiges Mittel bei der zukünftigen nachhaltigen Konfliktbewältigung.
- Die europäische Verteidigungsindustrie soll gestärkt werden, vor allem die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Unternehmen. Rüstungsexporte werden durch die Bundesregierung gefördert; auch Exporte in Staaten außerhalb von EU und NATO, wenn "besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen" vorliegen.
- Der Bundessicherheitsrat, ein geheim tagendes, demokratischer Kontrolle entzogenes Gremium, dem ausgewählte Regierungsmitglieder angehören, soll "als strategischer Impulsgeber" gestärkt werden. Bislang entscheidet der Bundessicherheitsrat über deutsche Rüstungsexporte.
- Die Annexion der Krim wird verurteilt, Russland stelle damit die "europäische Friedensordnung in Frage". Weitere, sehr breit gefasste sicherheitspolitische Herausforderungen, denen Deutschland begegnen müsse, reichen von Cyber-Terrorismus über die Proliferation von Massenvernichtungswaffen bis zum Klimawandel.
Konkrete Maßnahmen und Aussagen darüber, wie die geforderten zusätzlichen Mittel für die Bundeswehr bei diesen Aufgaben helfen sollen, finden sich im Weißbuch nicht. Es bleibt gerade an den Stellen unkonkret, an denen es darum geht, wie zukünftige sicherheitspolitische Herausforderungen bewältigt werden können und in welcher Form Deutschland seinem neuen Führungsanspruch gerecht werden will.
Darin sieht der Journalist und ehemalige Vorsitzende des Aachener Friedenspreises, Otmar Steinbicker, eine Verpflichtung für die friedenspolitisch engagierte Bevölkerung. Diese dürfe es nicht der Regierung überlassen, zukünftig den offenen Begriff 'Verantwortung' mit militärischen Maßnahmen der Außenpolitik gleichzusetzten.
Konkret, so Steinbicker, heiße das gerade für die Friedensbewegung, "dass es nicht mehr ausreicht, allein 'Nein zum Krieg' zu sagen, sondern dass ihr 'Ja zum Frieden' auch konkrete Vorschläge für zivile, nichtmilitärische Konfliktlösungen beinhalten muss." Die vollständige Stellungnahme von Otmar Steinbicker und weitere Analysen des Weißbuches finden Sie im Kasten "Mehr Informationen".
Mehr Informationen
Das Weißbuch als PDF-Datei beim Bundesministerium der Verteidigung
"PR-Coup statt Grundlagendokument"
Pressemitteilung der Kooperation für den Frieden [PDF-Download]
Zum Namen "Weißbuch"
Das Weißbuch im ursprünglichen Sinn ist eines der internationalen politischen Bunt- oder Farbbücher: Dokumentensammlungen, welche die Regierung eines Staates veröffentlicht, um Orientierung über politische Fragen zu geben.
Nach einer bis ins Mittelalter zurückreichenden Tradition werden diese in Umschlägen mit bestimmten Farben veröffentlicht: im Vereinigten Königreich sind sie blau, in Italien grün, in Frankreich gelb, in Deutschland weiß, in den USA und in Österreich rot, in Japan grau und in den Niederlanden orange.
Des Verteidigungsministerium veröffentlicht seit 1969 in unregelmäßigen Abständen Weißbücher.
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