Ohne Rüstung Leben e.V.
Frieden politisch entwickeln

Publikation - 8. Februar 2023

"Wege zum Frieden aufzeigen!" - Analyse zum Krieg in der Ukraine

Wege zum Frieden aufzeigen!

Am 24. Februar 2023 dauert der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine bereits seit einem Jahr an. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir hier eine umfangreiche Analyse und Standortbestimmung zur aktuellen Situation. Von der deutschen Bundesregierung erwarten wir daher, dass sie Wege zum Frieden aufzeigt.

 


 

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat zu hunderttausenden Toten und Verletzten sowie Millionen Geflüchteten geführt. Wir stehen an der Seite aller Menschen, die durch den Krieg schreckliches Leid erfahren, Opfer beklagen oder ihre Heimat verlassen mussten.


Nichts kann den Angriff auf die Ukraine rechtfertigen. Die politische Führung in Moskau fordern wir weiterhin auf, den Krieg sofort zu beenden, das Völkerrecht zu achten und alle Truppen aus der Ukraine abzuziehen!

Wir sind dankbar, dass die Bundesregierung und viele Engagierte umfangreiche humanitäre Unterstützung für die Menschen in der Ukraine und für Geflüchtete leisten. Alle Menschen, die sich dem Krieg entziehen möchten, müssen Unterstützung, sichere Fluchtwege und Schutz finden. Dies gilt auch für alle politisch Verfolgten, Kriegsdienstverweigernden oder Desertierenden aus Russland, Belarus und der Ukraine.

Der Krieg auf europäischem Boden löst auch in Deutschland tiefgreifende politische Debatten und viele offene Fragen aus. Zwei Gewissheiten jedoch haben wir:

  • Jeder weitere Tag, an dem der Krieg andauert, bedeutet mehr Tote, Verletzte und Vertriebene, mehr Zerstörung von Städten und Infrastruktur, weitere Rückschläge im Kampf gegen die Klimakrise sowie immer gravierendere wirtschaftliche Folgen für Millionen Menschen weltweit.
  • Der Krieg kann nur am Verhandlungstisch beendet werden. Daher werden Russland und die Ukraine miteinander sprechen müssen - unter internationaler Vermittlung und auf Grundlage des Völkerrechtes. Je früher das geschieht, umso mehr Leid und Tod kann verhindert werden.


Vor diesem Hintergrund fordern wir die Bundesregierung auf, mit allen diplomatischen außenpolitischen Anstrengungen auf einen Waffenstillstand und Verhandlungen hinzuwirken.

Das Ziel müssen zunächst Gespräche über einen Waffenstillstand sein. Wenn die unmittelbaren Kriegshandlungen eingefroren sind, können die Grundlagen für weitere Verhandlungen geschaffen und ein Friedensplan auf dem Boden des Völkerrechtes entwickelt werden. Das ist ein schwieriger, aber unverzichtbarer Weg. Deutschland sollte sich maßgeblich dafür einsetzen!

Die Realität in der politisch-medialen Debatte in Deutschland ist jedoch derzeit eine andere: Erschreckend einseitig wird Kriegslogik verbreitet, militärische Aufrüstung gefordert und umgesetzt. Ein Sieg über die weltgrößte Atommacht wird immer wieder ins Spiel gebracht. Damit verbaut sich Deutschland seine Möglichkeiten, zu vermitteln. Ein Jahr nach der vermeintlichen "Zeitenwende" erkennen wir mit Blick auf den Krieg in der Ukraine kein außenpolitisches Konzept der Bundesregierung.

 


 

Waffenlieferungen an die Ukraine


Die Forderung der Ukraine nach deutschen Waffen stellt viele Menschen - darunter auch viele Friedensengagierte aus dem Umfeld von Ohne Rüstung Leben - vor ein Dilemma: Wir teilen den starken Wunsch, die Ukraine darin zu unterstützen, sich gegen den Überfall auf ihr Land und die Gräueltaten zu verteidigen.

Gleichzeitig ist klar, dass Waffen immer Leid und Tod mit sich bringen. Es besteht die große Gefahr, dass immer mehr Waffen die Kämpfe verlängern und neue Eskalationen auf russischer Seite auslösen können. Die Waffen könnten zudem unkontrolliert weiterverbreitet werden.


Jede Entscheidung - ob für oder gegen Waffenlieferungen - hat weitreichende moralische, politische und humanitäre Konsequenzen.

Gerade deshalb ist es beschämend und der deutschen Demokratie unwürdig, wie in den letzten Monaten darüber debattiert wurde. Nicht diejenigen sollten sich rechtfertigen müssen, die keine Waffen liefern, sondern diejenigen, die es tun. Zweifel und kritische Nachfragen zu so wichtigen Entscheidungen müssen ernstgenommen werden.

In der medialen Auseinandersetzung geht zudem unter, wie sehr sich rote Linien verschieben. So wurde zunächst betont, dass es ausschließlich um Defensivwaffen gehe (ein undefinierter Begriff, der jedoch die unmittelbare Verteidigung der Menschen in der Ukraine zum Ziel erklärte). Nun jedoch werden in großem Stil Kampfpanzer geliefert; die Ukraine fordert bereits Kampfflugzeuge, U-Boote und Langstreckenraketen.


Mit der Lieferung von immer mehr und immer offensiveren Waffen geht eine wachsende und unkontrollierbare Gefahr der Eskalation einher.

Der Krieg könnte auf weitere Staaten übergreifen oder Wladimir Putin die militärische Unterstützung als einen Kriegseintritt der NATO auffassen, was im schlimmsten Fall in einem russischen Atomwaffeneinsatz gipfeln könnte! Offen bleibt dabei, welches Ziel die deutsche Bundesregierung mit den Waffenlieferungen verfolgt. Vor allem ist nicht zu erkennen, wie sie dazu beitragen sollen, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen.

 


 

Die Rolle der Atomwaffen im Ukraine-Krieg


Die Weltuntergangsuhr des renommierten Bulletin of the Atomic Scientists steht seit Januar 2023 auf 90 Sekunden vor Zwölf. Die Menschheit ist ihrer atomaren Vernichtung demnach so nahe wie noch nie zuvor.

Die Angriffe auf das in Betrieb befindliche ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja sind ein gefährlicher Tabubruch und inakzeptabler Verstoß gegen internationale Protokolle. Die Weltgemeinschaft muss dies weiterhin eindeutig verurteilen und sich für die Sicherheit der Atomkraftwerke und Kontrollen durch die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO einsetzen.


Wir sehen in der Ukraine einen Angriffskrieg, der durch den atomaren Schutzschirm Russlands abgesichert wird.

Das zeigt erneut die Absurdität der nuklearen Abschreckung und macht deutlich, wie groß die humanitäre Gefahr durch Atomwaffen ist. Eine nukleare Eskalation des Krieges - sei es durch einen Unfall, eine Fehleinschätzung oder durch militärisches Kalkül - ist ein schreckliches Risiko für die ganze Menschheit.

Daher sind wir erleichtert über die Zurückhaltung der NATO in Reaktion auf den Raketeneinschlag am 15. November 2022 in Polen. Das Bewusstsein für die nukleare Gefahr muss Leitschnur für das Handeln aller NATO-Staaten sein! Russland ist die größte Nuklearmacht der Welt und hat mehrmals indirekt mit einem Ersteinsatz von Atomwaffen gedroht - allein der Gedanke, einen militärischen Sieg über Russland erzielen zu wollen, ist daher brandgefährlich.


Die Situation, in der wir uns heute befinden, ist auch die Folge einer gescheiterten Atomwaffenpolitik der vergangenen Jahre!

Dazu gehören die Weigerung aller Atomwaffenstaaten, gemeinsame Abrüstungsschritte anzugehen, die daraus resultierende Schwächung des Nichtverbreitungsvertrages (NVV) sowie die Kündigung zentraler Rüstungskontrollabkommen wie des INF-Vertrages über nukleare Mittelstreckensysteme durch die US-Regierung unter Donald Trump. All das führte dazu, dass das Überleben der Menschheit nun von der "Vernunft" der atomar bewaffneten Regierungen von Washington über Moskau bis Peking abhängt.


Die Politik muss alles daransetzen, eine nukleare Eskalation im Ukraine-Krieg zu verhindern. Es ist daher unbegreiflich, dass die NATO einen Ersteinsatz von Atomwaffen weiterhin nicht ausschließen will. Ebenso inakzeptabel ist es, dass alle Atomwaffenstaaten massiv in ihre Arsenale investieren, anstatt die dringend nötige vollständige nukleare Abrüstung und eine weltweite Ächtung aller Atomwaffen anzugehen.

Auch die nukleare Aufrüstung in Deutschland - durch die Beschaffung von F-35-Tarnkappenbombern als neue Atombomber für die Bundeswehr und die geplante Stationierung skalierbarer und lenkbarer B61-12-Atombomben in Büchel - ist ein fatales Signal der Eskalation.


Wir erwarten von der deutschen Bundesregierung, dass sie bei der nuklearen Abrüstung vorangeht.

Dazu sollte sie zunächst in der NATO darauf drängen, den Ersteinsatz von Atomwaffen eindeutig auszuschließen. Zudem müssen diplomatische Initiativen für einen Erhalt des New START-Vertrages und für weitere internationale Abrüstungsvereinbarungen angestoßen werden. Diese Schritte können bewusst zur Deeskalation genutzt werden und gleichzeitig den diplomatischen Druck auf Russland erhöhen.

Damit einhergehend fordern wir - wie im Friedensgutachten 2022 der führenden deutschen Friedensforschungsinstitute beschrieben - einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland bis zum Jahr 2030. Damit wäre die Grundlage für eine neue Friedensordnung in Europa geschaffen und der Weg frei für einen deutschen Beitritt zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag (AVV).

 


 

Die "Zeitenwende" der Bundesregierung


Unter dem Schlagwort der "Zeitenwende" hat die Bundesregierung weitreichende Veränderungen in der Außen- und Verteidigungspolitik angekündigt. Nach einem Jahr drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass es sich dabei in erster Linie um eine plakative Bezeichnung für ein überstürztes Beschaffungsprogramm handelt.


Die ersten Prestigeprojekte aus dem schuldenfinanzierten Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro stellen sich - erwartungsgemäß - als völlig unzureichend geplant und kalkuliert heraus.

Sowohl beim F-35-Tarnkappenbomber von Lockheed Martin als auch bei den neuen Transporthubschraubern Boeing-H-47 Chinook wurden bereits massive Kostensteigerungen und Einsatzrisiken bekannt. Das Desaster des Puma-Schützenpanzers scheint sich zu wiederholen.


Noch immer ist unklar, welchen Auftrag die Bundeswehr künftig erfüllen soll.

Bei einer Rückbesinnung auf Landesverteidigung etwa sind teure Tarnkappenbomber unbrauchbar. Weiterhin gibt es gravierende strukturelle Defizite im Beschaffungswesen und in der Bundeswehr. So verstärkt sich der Eindruck, den Ohne Rüstung Leben bereits im Frühjahr 2022 formulierte: Die Bundesregierung scheint um jeden Preis Milliarden in ein Fass ohne Boden pumpen zu wollen.

 


 

Zivile Friedensfähigkeiten stärken!


Der Ukraine-Krieg und die aktuellen Debatten machen nur allzu deutlich, dass Deutschland zentrale Friedensfähigkeiten fehlen. Diplomatie, Krisenprävention und Zivile Konfliktbearbeitung sind seit Jahren unterfinanziert.

Ein dauerhafter und systematischer Ausbau dieser zivilen Fähigkeiten, kombiniert mit einer umfassenden Strategie für eine deutsche Außen- und Friedenspolitik, ist überfällig. Darüber hinaus sollte Deutschland zentrale Foren für Dialog und unverzichtbare Akteure der Friedenssicherung wie die Vereinten Nationen und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stärken.

Auch der Einsatz gegen die Klimakrise und für die Energiewende, gegen den Hunger auf der Welt und für eine gerechte Wirtschaftsordnung sind fundamentale Beiträge zum Frieden. Dabei muss Deutschland internationale Initiativen unterstützen.

Wir brauchen dringender denn je eine Politik, die ein neues Verständnis davon prägt, wie Frieden geschaffen werden kann: mit zivilen Mitteln der Prävention, Diplomatie und Konfliktbearbeitung. Beispielsweise mit Verhandlungen, Mediation, Konflikt- und Kontextanalysen, aktiver Menschenrechtsarbeit und Initiativen zur Schaffung gemeinsamer menschlicher Sicherheit.

Wir brauchen eine Politik, die sich von Blockdenken und militärischem Machtstreben löst und eine Friedensordnung für Europa und die Welt entwickelt. Andere Perspektiven - zum Beispiel die des Globalen Südens - müssen dabei ebensoviel Raum bekommen, wie die eigene.

Und wir brauchen eine Politik, die gemeinsam Lösungen für die großen Menschheitsprobleme entwickelt und vorantreibt, um künftigen Generationen eine lebenswerte Zukunft zu sichern.

Das wäre eine wirkliche Zeitenwende!

 


 

Von der deutschen Bundesregierung erwarten wir daher, dass sie Wege zum Frieden aufzeigt. Dazu gehört:

  • eine Ausweitung der zivilen und diplomatischen Unterstützung für die Menschen in der Ukraine und für alle Menschen, die vor Krieg fliehen müssen.
  • einen Waffenstillstand und Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien in der Ukraine zum zentralen Ziel der außenpolitischen Bemühungen zu machen. Diplomatie muss dabei immer Vorrang haben.
  • sich mit aller Kraft für internationale Abrüstungsvereinbarungen und für ein atomwaffenfreies Deutschland einzusetzen - als Basis einer neuen Friedensordnung in Europa.
  • ein dauerhafter und systematischer Ausbau von Diplomatie, Krisenprävention und Ziviler Konfliktbearbeitung.
  • die Entwicklung einer umfassenden Friedensstrategie für Deutschland und Europa, die auf Zusammenarbeit, menschliche Sicherheit und die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft für alle setzt.



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Material zum Thema

 

 

Analyse und Standortbestimmung zum Ukraine-Krieg, 4 Seiten [PDF-Download, 700 KB]

 

Musterbrief an Außenministerin Baerbock "Wege zum Frieden aufzeigen!" - Vorlage zum Ausdrucken
[PDF-Download, 160 KB]

 

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein brutaler, nicht zu rechtfertigender Bruch des Völkerrechts. Wir fordern von Russland: Stoppt das Töten in der Ukraine!

Als Reaktion bricht die Bundesregierung mit Grundwerten der deutschen Außenpolitik und startet eine beispiellose Aufrüstung. Doch mehr Militarisierung kann nicht die Lösung sein.

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