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Nachrichten - 29. Mai 2020

Worum es in der Debatte über die Nukleare Teilhabe geht

"Abrüstung schafft Sicherheit" steht auf einer Fahne vor dem Atomwaffenstützpunkt Büchel

Nur wenige Themen haben es mitten in der Corona-Krise auf die politische Tagesordnung geschafft. Eines davon ist die Nukleare Teilhabe und die Frage, welche neuen Atombomber die Bundeswehr bekommen soll. Worum genau geht es dabei und wie steht die Politik dazu? Ein aktueller Überblick.

 

Wie kam es zur Debatte über die Nukleare Teilhabe?

Ausgelöst wurde die Debatte durch eine Nachricht von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer an US-Verteidigungsminister Mark Esper. Darin soll sie den Kauf von insgesamt 45 Kampfflugzeugen Typ F/A-18 des US-Herstellers Boeing in Aussicht gestellt haben. Diese Ankündigung, so die Kritik, sei nicht mit dem Koalitionspartner SPD abgestimmt worden und untergrabe die Autorität des Bundestages.

Tatsächlich ist nach derzeitigem Stand nicht damit zu rechnen, dass der Bundestag vor der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 eine endgültige Entscheidung über die Finanzierung neuer Bundeswehr-Kampfflugzeuge trifft. Was die Verteidigungsministerin mit Ihrem Vorstoß bezwecken wollte, bleibt unklar. Was sie erreicht hat, ist eine überfällige Grundsatzdebatte über die Nukleare Teilhabe - in der Bundespolitik und in den Kommentarspalten der Medien.

 

Wozu braucht die Bundeswehr neue F-18-Kampfflugzeuge?

Die deutsche Luftwaffe verfügt mit den Kampfjets vom Typ Tornado derzeit über eine große Flotte von Mehrzweckkampfflugzeugen, die jedoch in die Jahre gekommen ist. Daher strebt die Verteidigungsministerin an, die Flugzeuge im kommenden Jahrzehnt durch neue Jets zu ersetzen. Für viele Aufgaben ist der Eurofighter als geeigneter Ersatz vorgesehen, nicht jedoch für die elektronische Kampfführung und für den Abwurf von US-Atombomben.

Daher beabsichtigt Kramp-Karrenbauer, eine kleinere Anzahl an Flugzeugen aus US-amerikanischer Produktion zu beschaffen. Nur für diese stellt die US-Regierung eine sichere Zertifizierung als Atombomben-Trägerflugzeug in Aussicht. Die Vorauswahl fiel nun offenbar auf das Modell F/A-18. Mit dem Kauf wäre Deutschlands Fähigkeit, sich im Rahmen der Nuklearen Teilhabe an einem Atomkrieg zu beteiligen, für die nächsten Jahrzehnte festgeschrieben.

 

Was genau ist die Nukleare Teilhabe?

Die Nukleare Teilhabe gehört zur Abschreckungsstrategie der NATO und sieht vor, dass US-Atomwaffen in den europäischen Teilhabestaaten stationiert werden. Die Waffen stehen unter amerikanischem Kommando, ihr Einsatz muss vom US-Präsidenten befehligt werden. Pilotinnen und Piloten des Partnerstaates werden jedoch dafür ausgebildet, die Bomben ins Ziel zu fliegen und abzuwerfen.

Seit den 1950er-Jahren waren tausende US-Atomwaffen in Westeuropa stationiert. Nach den Abkommen der 1980er- und 1990er-Jahren sank die Zahl deutlich. Schätzungen zufolge werden derzeit noch rund 200 atomare Sprengköpfe in den Teilhabestaaten Deutschland, Belgien, Niederlande, Italien und Türkei einsatzbereit gehalten. Zwanzig davon liegen in Büchel in Rheinland-Pfalz. Sie würden im Kriegsfall von Bundeswehr-Flugzeugen abgeworfen.

 

Wie argumentieren die Befürworter?

Befürworter der Nuklearen Teilhabe - unter anderem Außenminister Heiko Maas, Teile der SPD und FDP sowie die CDU / CSU - reagierten teilweise aufgescheucht auf die Debatte. Sie argumentieren damit, dass die US-Atomwaffen in Deutschland notwendig für die Abschreckung der NATO gegen ein zunehmend aggressiv auftretendes Putin-Russland seien und versuchen mitunter, gegenteilige Positionen als "naiv" darzustellen.

Deutschland sichere sich als Teilhabestaat ein bedeutendes Mitspracherecht in der nuklearen Planungsgruppe, zeige sich gegenüber den osteuropäischen Staaten als verlässlicher Partner und schaffe Stabilität in der NATO, die seit der Wahl von US-Präsident Trump in einer politischen Sinnkrise steckt. Nukleare Abrüstung, so die Argumentation, müsse mit den Atomwaffenstaaten erreicht werden und nicht durch einen Ausstieg Deutschlands aus der Nuklearen Teilhabe.

 

Welche Argumente sprechen gegen die Nukleare Teilhabe?

Die Stimmen gegen die Teilhabe - allen voran SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, aber auch weitere Teile der SPD, sowie die Grünen und Linken - halten diese für überholt. Sie verweisen darauf, dass der unberechenbare US-Präsident immer mehr Abrüstungsverträge kündigt und selbst einen nuklearen Angriffskrieg nicht ausschließen will. Zudem sei auch nach 50 Jahren Atomwaffensperrvertrag keine gemeinsame Abrüstung der Atomwaffenstaaten erkennbar.

Die Abschreckung mit atomaren Massenvernichtungswaffen sei ein gefährliches Relikt des Kalten Krieges und nicht geeignet zur Lösung der heutigen politischen Herausforderungen. Das einzig realistische Einsatzszenario der US-Atombomben in Deutschland sei ein Atomkrieg in (Ost-) Europa, der hunderttausende Tote und eine unüberschaubare Eskalation zur Folge hätte. An einem solchen Szenario dürfe sich Deutschland nicht länger beteiligen.

Stattdessen müsse die Bundesregierung endlich dem Bundestagsbeschluss von 2010 folgen und den Abzug der US-Atomwaffen aus Büchel einfordern. Die Rolle Deutschlands in der NATO sei dadurch nicht in Gefahr. Erstens gäbe es im Bündnis auch anerkannte Nicht-Teilhabestaaten wie Kanada. Und zweitens sei - entgegen gerne geschürter Ängste - selbst die Mitarbeit in der nuklearen Planungsgruppe der NATO gar nicht an die Nukleare Teilhabe geknüpft.

 

Wie trägt Ohne Rüstung Leben zu der Debatte bei?

Als deutscher ICAN-Partner und Trägerorganisation der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt" begrüßt Ohne Rüstung Leben die überfällige politische Debatte über die Nukleare Teilhabe und eine neue Atomwaffenstrategie sehr. Und wir freuen uns, dass wir mit Anschreiben an die Bundestagsabgeordneten und in persönlichen Gesprächen - unter anderem mit der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken sowie verschiedenen verteidigungs- und abrüstungspolitischen Sprecherinnen und Sprechern - die Debatte mit anstoßen konnten.

Besonders wichtig ist dabei, dass diese Debatte öffentlich geführt wird und der zunehmend bemüht wirkende Schleier der Geheimhaltung über den US-Atomwaffen in Büchel endlich fällt. Ein Thema, das die Sicherheit der Bevölkerung so sehr bedroht, wie die Atomwaffen in Büchel, muss transparent diskutiert werden.

Mit unserer Arbeit im Kreis der deutschen ICAN-Partner und zuletzt mit der Postkartenaktion "10 Jahre Bundestagsbeschluss" drängen wir weiter auf einen Abzug der Atomwaffen. Wir sind überzeugt, dass Deutschland eine Vorbildrolle für die atomare Abrüstung in Europa einnehmen sollte, indem es die unvorstellbaren humanitären Konsequenzen eines Atomkrieges betont und in der Folge dem UN-Atomwaffenverbotsvertrag beitritt. Voraussetzung dafür ist der Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und der Ausstieg aus der Nuklearen Teilhabe.

 

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