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Nachrichten - 18. Juli 2022

Der Fall "Heckler & Koch": Lehren für das Rüstungsexportkontrollgesetz

Mahnwache für die Opfer von Ayotzinapa

Politik und Zivilgesellschaft ringen schon lange über ein deutsches Rüstungsexportkontrollgesetz. Nun ist die Erarbeitung in vollem Gange. Eines der Ereignisse, die große Aufmerksamkeit auf das Thema Rüstungsexportkontrolle gelenkt haben, ist der Fall illegaler G36-Exporte nach Mexiko. Was die Politik daraus lernen sollte.  

 

Der Fall Heckler & Koch offenbart die Schwächen der deutschen Rüstungsexportkontrolle und wirft exemplarisch ein Schlaglicht auf einige zentrale Aspekte, die ein Rüstungsexportkontrollgesetz beinhalten sollte. Ohne Rüstung Leben hat gemeinsam mit Kooperationspartnern bereits im November vergangenen Jahres ein umfangreiches Factsheet veröffentlicht, in dem wir die Lehren benennen, die die Bundesregierung aus dem Fall ziehen sollte.


Das Gerichtsurteil

Am 30. März 2021 verkündete der Bundesgerichtshof (BGH) sein Urteil im Fall Heckler & Koch. Er bestätigte zum größten Teil das Urteil des Landgerichtes Stuttgart vom Februar 2019. Demnach war die Genehmigung für den Export von mehr als 4.200 Sturmgewehren nach Mexiko mit bewusst falschen Endverbleibserklärungen erschlichen worden. Endverbleibserklärungen sind ein Kernstück der deutschen und europäischen Rüstungsexportkontrolle. Sie dokumentieren gegenüber den Genehmigungsbehörden vorab, wo exportierte Waffen eingesetzt werden sollen.

In diesem Fall waren mehrere mexikanische Bundesstaaten, die die damalige Bundesregierung offenbar als kritisch einstufte, nicht als Empfänger aufgeführt. Dennoch gelangten die Gewehre dorthin. Zwei ehemalige Mitarbeitende des Unternehmens müssen sich mit Bewährungs- und Geldstrafen für die illegalen Exporte von G36-Sturmgewehren nach Mexiko verantworten - laut Gericht sind sie für die falschen Angaben verantwortlich. Das Unternehmen aus Oberndorf am Neckar muss über drei Millionen Euro zahlen.

Zu den über 4.200 illegal exportierten Sturmgewehren kommen weitere tausende hinzu, die in Bundesstaaten exportiert wurden, die als unbedenklich eingestuft waren. Diese Exporte sind legal, jedoch aus menschenrechtlicher Sicht ebenso fragwürdig.

 

Heckler & Koch und der Fall Ayotzinapa

Illegal nach Mexiko exportierte G36-Sturmgewehre wurden nachweislich bei Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen eingesetzt. Eines der tragischen Beispiele ist der Fall Ayotzinapa. In der Nacht vom 26. auf den 27. September 2014 griffen staatliche und bundesstaatliche Sicherheitskräfte in Iguala im mexikanischen Bundesstaat Guerrero in Absprache mit dem organisierten Verbrechen einen Bus an.

Darin saßen Lehramtsstudenten der pädagogischen Hochschule Ayotzinapa, einer ländlichen Lehrerausbildungseinrichtung in einer der am stärksten marginalisierten Regionen im Süden des Landes. Sechs Personen starben bei dem Angriff, weitere Menschen wurden teils schwer verletzt und 43 Studenten fielen der Praxis des "Verschwindenlassens" zum Opfer. Einem Studenten, Aldo Gutiérrez Solano, wurde in der Nacht des Verbrechens in den Kopf geschossen. Er liegt seitdem im Koma.

Bei der Untersuchung des Falls Ayotzinapa wurden bei den beteiligten Sicherheitskräften Gewehre von Heckler & Koch sichergestellt. Mit mindestens sieben davon wurde in der Nacht geschossen. Auch am Tatort, an dem Aldo Gutiérrez niedergeschossen wurde, fand man Patronenhülsen, die für diese Waffen benutzt werden. Aus diesem Grund hat Aldos Familie zusammen mit den Menschenrechtsorganisationen ECCHR und Centro Prodh versucht, ihn als Opfer im Verfahren im Fall Heckler & Koch anerkennen zu lassen. Das Landgericht Stuttgart lehnte den Antrag jedoch ab.


Lehren für die deutsche Rüstungsexportkontrolle

Laut den rechtlich nicht bindenden "Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" wird der Beachtung der Menschenrechte im Empfängerland bei Rüstungsexportentscheidungen "besonderes Gewicht beigemessen". Zwischen 2006 und 2009 genehmigte die damalige Bundesregierung den Export tausender G36-Sturmgewehre nach Mexiko. Endverbleibserklärungen sollten sicherstellen, dass diese nicht in die Bundesstaaten gelangten, in denen die Menschenrechtslage als besonders kritisch bewertet wurde.

Der Ausschluss von lediglich einigen besonders konfliktiven Bundesstaaten ist aus menschenrechtlicher Sicht mehr als fragwürdig. Vielmehr deutet das Vorgehen darauf hin, dass - trotz menschenrechtlicher Bedenken - eine Kompromisslösung gefunden werden sollte, um die Exporte zu ermöglichen. Angesichts von Gewalt, Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Straflosigkeit hätte Mexiko als Ganzes nie beliefert werden dürfen.


Verbandsklagerecht und Nebenklage

Bisher besteht in Deutschland keine zufriedenstellende Möglichkeit, zweifelhafte Rüstungsexportentscheidungen der Bundesregierungen juristisch überprüfen zu lassen. Ein Rüstungsexportkontrollgesetz sollte deshalb eindeutige und strenge Prüfkriterien enthalten, anhand derer die Bundesregierung ihre Exportentscheidungen begründen muss. Ebenso sollte in einem solchen Gesetz die Möglichkeit zur Überprüfung der Entscheidungen in Form eines Verbandsklagerechts geschaffen werden.

Die Leidtragenden der deutschen Rüstungsexportpraxis sind die Betroffenen in den Empfängerländern. Es ist beschämend, dass diese im Fall Heckler & Koch zu keinem Zeitpunkt im Verfahren berücksichtigt wurden. Der Gesetzgeber muss in einem Rüstungsexportkontrollgesetz klarstellen, dass Rüstungsexportkontrolle auch die Opfer von Schusswaffengewalt in den Empfängerländern schützen soll und dies mittels der Fähigkeit zur Nebenklage in Strafprozessen absichern. Betroffene haben ein Recht darauf, an den Verfahren beteiligt zu werden.


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Stichwort: "Verschwindenlassen"


Nach Artikel 2 des 2010 in Kraft getretenen Internationalen Übereinkommens zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen versteht man darunter "die Festnahme, Haft, Entführung oder jede andere Form von Freiheitsentzug durch Bedienstete des Staates, durch eine Person oder durch Personengruppen, die mit der Erlaubnis, Unterstützung oder Duldung (billigende Inkaufnahme) des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, die Freiheitsberaubung zu bestätigen, oder von einer Verschleierung des Schicksals oder des Aufenthaltsortes der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird."


OHCHR: International Convention for the Protection of All Persons from Enforced Disappearance

Studie: Verschwindenlassen in Mexiko. Ein systematisch begangenes Verbrechen [PDF-Download]

Material zum Thema


Factsheet zu Waffenexporten nach Mexiko

Factsheet zur Online-Diskussion: "Illegale Waffenexporte nach Mexiko", deutsche Version [PDF-Download, 1 MB]


Factsheet "Exportaciones ilegales de armas a México"

Factsheet "Exportaciones ilegales de armas a México", spanische Version [PDF-Download, 760 KB]

In Mexiko herrscht ein blutiger Drogenkrieg. Die Polizei ist in einigen Regionen von organisierter Kriminalität unterwandert. Weltweite Beachtung fanden 43 Studenten, die der Praxis des "Verschwindenlassens" zum Opfer fielen. Deutsche Waffen von "Heckler & Koch" und "Sig Sauer" tauchen immer wieder in Mexiko auf - auch dort, wo sie nie sein durften.

Auf unserer Themenseite finden Sie alle aktuellen Nachrichten zu deutschen Rüstungsexporten nach Mexiko.

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