Nachrichten - 21. Juni 2018 - UPDATE: 22. Juni 2018
Gerichtsprozess um Heckler & Koch-Rüstungsexporte: Die wichtigsten Erkenntnisse der ersten Wochen
Seit dem 15. Mai 2018 müssen sich fünf ehemalige Manager und Mitarbeiter von "Heckler & Koch" vor dem Landgericht Stuttgart verantworten. Hier finden Sie eine Zusammenfassung der ersten Prozesstage. Unterdessen hat der Kleinwaffenhersteller seine Aktionärshauptversammlung abgesagt. Der Grund: Zu viele Anmeldungen, unter anderem von Kritischen Aktionären.
Der Vorwurf im "Heckler & Koch"-Prozess: Von 2006 bis 2009 sollen tausende G 36-Sturmgewehre sowie Zubehörteile wissentlich in mexikanische Bundesstaaten geliefert worden sein, für die keine Exportgenehmigungen existierten. An den ersten sechs der angesetzten 25 Verhandlungsterminen haben sich interessante zentrale Fragestellungen und Argumentationsmuster herauskristallisiert.
Die Gretchenfrage des Prozesses
In den Endverbleibserklärungen für die "Heckler & Koch"-Waffen sind bestimmte mexikanische Bundesstaaten benannt. In diese dürfen die G 36 gelangen - in andere jedoch nicht. Daraus ergibt sich eine für den Fall charakteristische regionale Begrenzung des Endverbleibs auf einzelne Teile des Landes. Als Gretchenfrage des Prozesses bezeichnet der Vorsitzende Richter, ob diese Endverbleibserklärungen Teil der Exportgenehmigung sind. Die angeklagten Manager bestreiten dies!
Damit hat der Prozess an Brisanz gewonnen, denn das Gericht könnte mit seinem Urteil eine Präzedenzentscheidung treffen. Sind Endverbleibserklärungen als bindender Teil einer Rüstungsexportgenehmigung anzusehen, oder handelt es sich um unverbindliche "Absichtserklärungen" beziehungsweise "Selbstbindungen"? Die Verteidigung setzt auf diese zweite Sichtweise. Die Verteilung der Waffen vor Ort sieht sie nicht im Verantwortungsbereich von "Heckler & Koch".
Verantwortlich sind immer die Anderen
Deutlich kristallisiert sich eine Verteidigungsstrategie der angeklagten Manager heraus: Verantwortlich sind immer die Anderen - wahlweise die mexikanischen Behörden, ein bereits verstorbener ehemaliger Mitarbeiter oder die deutschen Behörden. Der ebenfalls angeklagte ehemalige Geschäftsführer von "Heckler & Koch" zweifelt gar die generelle Wirksamkeit von Endverbleibserklärungen an. Beamte des Zollkriminalamts und des Auswärtigen Amtes gaben hingegen eine andere Sicht der Dinge zu Protokoll.
Nach ihrer Kenntnis sei "Heckler & Koch" durchaus verpflichtet, die Endverbleibserklärungen einzuhalten. Der Zeuge aus dem Auswärtigen Amt räumte jedoch auch ein, es ließe sich mit dem bestehenden Kontrollsystem nicht zu 100 Prozent ausschließen, dass einzelne Gewehre in andere Bundesstaaten "umgeleitet" wurden. Zeugen des Wirtschaftsministeriums werden an den kommenden Prozesstagen gehört. Besonders spannend wird dann sein, ob interne Informationen aus dem Ministerium an "Heckler & Koch" weitergegeben wurden.
Hochkarätige Podiumsdiskussion
Ohne Rüstung Leben organisiert ein Rahmenprogramm zum Prozess, damit die Folgen der G 36-Exporte in Mexiko nicht in Vergessenheit geraten. Am 11. Juni 2018 diskutierten Rechtsanwalt und Anzeigenerstatter Holger Rothbauer, Dr. Carola Hausotter, Koordinatorin der "Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko", und Charlotte Kehne, Referentin für Rüstungsexportkontrolle bei Ohne Rüstung Leben und Sprecherin der "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!", im Hospitalhof in Stuttgart über die Thematik.
Sie erörterten die juristische Bewertung des aktuellen Prozesses und fanden klare Worte dazu, dass Endverbleibserklärungen ohne strenge Kontrollen nutzlos sind. Auch die Menschenrechtslage in Mexiko sowie die moralische Mitverantwortung der Bundesregierung an Verbrechen wie in Ayotzinapa waren Thema. Rothbauer beeindruckte mit Einschätzungen aus seiner Arbeit als Rechtsanwalt, der schon mehrere Strafanzeigen von Ohne Rüstung Leben und der "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" zu Rüstungsexportthemen begleitet hat.
Kritische Aktionäre bei der Hauptversammlung am 26. Juni
Am 26. Juni 2018 findet die Aktionärshauptversammlung von "Heckler & Koch" in Oberndorf (Neckar) statt. Als Kritische Aktionäre werden Jürgen Grässlin, Charlotte Kehne und weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter mit kritischen Fragen nachhaken. In einer aktuellen Pressemitteilung spricht der Kleinwaffenhersteller von gesellschaftlicher und rechtlicher Verantwortung und - mit Blick auf den Mexiko-Prozess - von umfangreichen Veränderungen, die vorgenommen wurden, "um solche Vorgänge für die Zukunft auszuschließen".
Ob hinter diesen Worten auch die Anerkennung einer Mitverantwortung an Verbrechen wie in Ayotzinapa steckt? Und welche Konsequenzen resultieren aus der betonten gesellschaftlichen Verantwortung? Diese Fragen werden wir dem Vorstand von "Heckler & Koch" stellen.
UPDATE (22. Juni 2018): Heckler & Koch hat kurzfristig die für den 26. Juni 2018 geplante Hauptversammlung abgesagt und auf einen unbekannten Termin verschoben.
Als Grund nennt der Vorstand in einer eiligen Mitteilung an die Aktionäre eine "unerwartet hohe Anmeldezahl". Für den Kritischen Aktionär Paul Russmann von Ohne Rüstung Leben ist dieses Vorgehen nicht nachvollziehbar: "Heckler & Koch exportiert Waffen in die ganze Welt, schafft es aber nicht, eine Hauptversammlung mit drei bis vier Dutzend Aktionären durchzuführen." Mehr Informationen finden Sie auf der Website des Dachverbandes Kritische Aktionäre.
Mehr Informationen
Hintergründe zum Prozess:
Unser Bericht zum Start des "Heckler & Koch"-Prozesses
Unsere Meldung zur Anklageerhebung (2015)
Stuttgarter Nachrichten: Auswärtiges Amt hatte Bedenken
Berichte aus der Verhandlung:
In Mexiko herrscht ein blutiger Drogenkrieg. Die Polizei ist in einigen Regionen von organisierter Kriminalität unterwandert. Weltweite Beachtung fanden 43 Studenten, die der Praxis des "Verschwindenlassens" zum Opfer fielen. Deutsche Waffen von "Heckler & Koch" und "Sig Sauer" tauchen immer wieder in Mexiko auf - auch dort, wo sie nie sein durften.
Auf unserer Themenseite finden Sie alle aktuellen Nachrichten zu deutschen Rüstungsexporten nach Mexiko.
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