Nachrichten - 2. September 2022
Aachener Friedenspreis 2022 an Holger Rothbauer und Menschenrechtsorganisation Mwatana verliehen
Vor hunderten Zuschauerinnen und Zuschauern fand am gestrigen Antikriegstag, dem 1. September 2022, die feierliche Verleihung des 35. Aachener Friedenspreises in der Aula Carolina statt. Geehrt wurden Rechtsanwalt Holger Rothbauer und die jemenitische Menschenrechtsorganisation Mwatana for Human Rights.
Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen würdigte die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger in ihrem Grußwort als bestes Beispiel dafür, dass Frieden die bedingungslose Achtung der Menschenrechte einschließe. Holger Rothbauers Furchtlosigkeit angesichts der mächtigen Waffenindustrie sei einmalig, so Keupen.
Gelebte Utopie einer friedlicheren Welt
"Ihr lebt täglich unsere Utopie einer friedlicheren Welt, ganz gleich welchen Herausforderungen und Anfeindungen ihr ausgesetzt seid. Euer Mut ermutigt uns", ergänzte Benedikt Kaleß für den Vorstand des Aachener Friedenspreises. Der renommierte Preis wird seit 1988 an Menschen und Gruppen verliehen, die die Macht der Veränderung aus der Zivilgesellschaft zeigen.
Mit Blick auf die Ukraine verwehrte sich der Aachener Friedenspreis gegen Schwarz-Weiß-Denken. Die souveränen Entscheidungen des Landes seien zu akzeptieren. Geichzeitig sei jedoch klar: Aufrüstung bringt keine Lösung, so Lea Heuser, die Sprecherin des Friedenspreises. Sie zeigte sich sehr besorgt um die Weltlage: Die Klimakrise, Afghanistan, Myanmar und die vielen Kriege auf dem afrikanischen Kontinent dürften nicht vergessen werden.
Noria Al-Hossini, Osamah Al-Fakih und Holger Rothbauer mit Vertretern des Aachener Friedenspreises und Bürgermeisterin Hilde Scheidt (links) beim feierlichen Empfang im Rathaus. Foto: Ohne Rüstung Leben
Mwatana: Beeindruckende Arbeit unter Lebensgefahr
Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), hielt per Video zugeschaltet eine Laudatio. Der Jemen, so Kaleck, sei ein Land, in dem alle Kriegsparteien am laufenden Band die Menschenrechte verletzten. Indem er ihm mit Desinteresse und Ignoranz begegne, mache der Westen diesen schrecklichen Krieg erst möglich. Die Organisation Mwatana hingegen dokumentiere unter Lebensgefahr Menschenrechtsverbrechen - das sei beeindruckend und mutig.
Die jemenitische Organisation Mwatana for Human Rights besteht seit 2007 und wird aktuell von rund 100 Aktiven getragen. Ihre Arbeit verfolgt zwei Ziele: Die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen unter schwierigsten Bedingungen und die humanitäre und juristische Unterstützung für Kriegs- und Folteropfer. Noria Al-Hossini und Osamah Al-Fakih waren nach Aachen gereist, um den Friedenspreis für ihre Organisation entgegenzunehmen.
Kriegsverbrechen im Jemen endlich international verfolgen
Al-Hossini berichtete in Ihrer Rede davon, dass viele ihrer Kolleginnen und Kollegen Opfer von Bedrohungen, Reiseverboten und gewaltsamem Verschwindenlassen werden. Mwatana sei solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, die Not leiden. Dennoch zeige der Westen erschreckende Doppelstandards, indem er die Menschen im Jemen vergesse. Die Kriegsverbrechen im Jemen müssten endlich international verfolgt werden, forderte sie.
"Kriege können nur geführt werden, wenn Waffen geliefert werden", sagte der Laudator Kaleck. Allzuoft versteckten sich die Lieferanten hinter Genehmigungen. "Was im kleinen selbstverständlich ist, dass man einem zum Töten bereiten Menschen kein Messer gibt, soll für Staaten nicht gelten." Daher sei die unermüdliche Arbeit von Rechtsanwalt Holger Rothbauer gegen die illegalen Waffenexporte deutscher Rüstungskonzerne so wichtig.
Volle Ränge bei der Preisverleihung in der ehrwürdigen Aula Carolina. Foto: Ohne Rüstung Leben
Historische Urteile zu illegalen Waffenexporten
Sichtlich gerührt nahm Rothbauer den Aachener Friedenspreis 2022 entgegen. Er dankte den Organisationen Ohne Rüstung Leben, pax christi und GKKE, die seine Arbeit seit vielen Jahren begleiten. Insbesondere aber dankte er seiner Frau, die seine Arbeit und sein Engagement auch unter großen Entbehrungen immer unterstütze.
Diese vielen Jahre der Vorarbeit hätten seine Erfolge vor Gericht - die historischen Urteile wegen illegaler Waffenexporte von Sig Sauer und Heckler & Koch - überhaupt erst möglich gemacht. Jetzt müssten sogar konservative Strafverteidigerkreise zugeben, dass "dieser komische Rothbauer" ein bisschen Strafrechtsgeschichte geschrieben habe, schmunzelte der Preisträger.
Kontrollgesetz und Verbandsklagerecht sind überfällig
Dennoch seien die Waffenhändler vor allem im Südwesten Deutschlands angesehene Bürger. Es bedürfe Einzelkämpfern und mutigen Organisationen, um ihre Ungerechtigkeiten zu skandalisieren. Aber es bedürfe uns allen, um endlich die nötigen Gesetzesänderungen auf den Weg zu bringen und dem Waffenhandel einen Riegel vorzuschieben.
"Ich wollte nie ein Lobbyist sein", gestand Rothbauer, "aber jetzt bin ich einer und hoffentlich bald Teil des Konsultationsprozesses für das deutsche Rüstungsexportkontrollgesetz". Dabei komme es ihm vor allem darauf an, ein Verbandsklagerecht zu erstreiten. "Das will die Rüstungslobby auf jeden Fall verhindern, damit die Rechtmäßigkeit von Waffenexporten nicht vorab demokratisch geprüft werden kann".
Respekt und Demut
Der renommierte Aachener Friedenspreis helfe ihm schon jetzt dabei, mit seinen Anliegen bis in die hohe Politik mehr Gehör zu finden, berichtete Holger Rothbauer dankbar. Großen Respekt und Demut zeigte er vor der mutigen Arbeit von Mwatana.
"Noria und Osamah sind die ersten, die im Zweifel mit unseren Waffen im Jemen ermordet werden", sagte Rothbauer und verwies auf den Einsatz deutscher G29-Scharfschützengewehre in Sana'a. "Diese Vorstellung ist so schrecklich, dass es unbedingt gilt, Einhalt zu gebieten."
Die stolzen Preisträgerinnen und Preisträger des Aachener Friedenspreises 2022: Holger Rothbauer, Osamah Al-Fakih und Noria Al-Hossini. Foto: Ohne Rüstung Leben
Mehr Informationen
zum Aachener Friedenspreis:
Webseite des Aachener Friedenspreises
Videomitschnitt der Preisverleihung
Ausgewählte Presseberichte:
WDR: Aachener Friedenspreis für Kämpfer gegen Krieg und Gewalt
SWR: Aachener Friedenspreis an Menschenrechtsanwalt aus Tübingen verliehen
Domradio: Ausgezeichnetes Engagement für andere
Aachener Nachrichten: Friedenspreis erinnert an einen "vergessenen Konflikt"
Misereor: Der kaum beachtete Krieg
Mehr zu den Gerichtsurteilen und zum Jemen-Krieg bei Ohne Rüstung Leben:
30. März 2021: BGH bestätigt Urteil im Fall illegaler Kleinwaffenexporte von "Heckler & Koch"
1. Juli 2021: SIG Sauer muss wegen illegaler Waffenexporte historische 11 Millionen Euro zahlen
16. November 2021: 40 Organisationen fordern: Keine Rüstungsexporte für Jemen-Militärkoalition
Kontakt
Ohne Rüstung Leben
Arndtstraße 31
70197 Stuttgart
Telefon 0711 608396
Telefax 0711 608357
E-Mail orl[at]gaia.de
Spendenkonto
IBAN DE96 5206 0410 0000 4165 41
BIC GENODEF1EK1
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Mit unseren Postsendungen bleiben Sie immer aktuell informiert.
Übrigens: Alle Informationen und Materialien von Ohne Rüstung Leben sind grundsätzlich kostenlos.
Ihre Spende hilft uns, dieses Angebot am Leben zu erhalten.